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Plan B

Im Zuge der Klimaanpassung testen Forscher exotische Bäume für unsere Städte

  • Christina Matte
  • Lesedauer: 6 Min.
Dr. Zander inmitten seiner Probanden in Schönefeld
Dr. Zander inmitten seiner Probanden in Schönefeld

Stadt und Land haben den grünen Schirm aufgespannt. In engen Straßen und breiten Alleen, weitläufigen Park- und Gartenanlagen, Waldstücken und Obstplantagen, an Flüssen, Bächen und Feldrainen entfalten Bäume ihre Kronen. Sie spenden Schatten, Früchte, Düfte, speisen Bienen, beherbergen Vogelnester, brechen den Wind, fangen den Staub, produzieren Sauerstoff, veratmen Kohlendioxid und - erfreuen uns mit ihrem Anblick.

Seit einigen Jahren gibt der heimische Baumbestand allerdings Anlass zur Sorge: Er kränkelt. Kastanien werden von der Miniermotte, Ahornbäume gleich von mehreren Plagen heimgesucht - von der Rußrinden- und der Pilzkrankheit Verticillium, von Frost- rissen und Sonnenbrand. Auch Eichen, Platanen, Eschen und Linden leiden. Landschaftsgärtner und Wissenschaftler sind sich einig: Der Gesundheitszustand unserer grünen Mitbewohner verschlechtert sich »signifikant«. Der Grund: Stress schwächt ihre Abwehrkräfte. Den Stress verursachen Wetterextreme, lange Trockenperioden in Frühjahr und Sommer, klirrende Kälte in Herbst und Winter. Die Extreme sind Folge der globalen Erwärmung, die wir auch Klimawandel nennen. Weil kaum damit zu rechnen ist, dass internationale Verabredungen oder der Flügelschlag eines Schmetterlings die Entwicklung noch aufhalten können, trifft man Dr. Matthias Zander nun öfter im brandenburgischen Schönefeld, auf einem gemeinsamen Versuchs- und Produktionsfeld der Baumschule Lorberg und der Berliner Humboldt-Universität.

Dr. Matthias Zander ist gern hier draußen. Ganz offensichtlich mag der schon Anfang Mai attraktiv gebräunte 47-Jährige Sonne, Luft und Weite mehr als sein Büro. Das geht in Ordnung. Schlimm sogar, wenn es anders wäre: Zander ist Botaniker. Der gebürtige Quedlinburger hat nach seiner landwirtschaftlichen Berufsausbildung mit Abitur in Halle Pflanzenzüchtung studiert und zunächst daran geforscht, den Proteingehalt im Weizen zu erhöhen. Als jedoch Ende der 80er Jahre viel die Rede vom Waldsterben war - auch die Harzer Rotbuchen waren bedroht - wechselte er in den »Gehölzbereich«, interessierte sich fortan für »die Vitalität von Bäumen im Wald«. In den 90ern gab Zander ein Intermezzo an der Fachhochschule für Land- und Forstwirtschaft in Eberswalde, im Jahr 2000 promovierte er extern an der Humboldt-Universität, an der landwirtschaftlich-gärtnerischen Fakultät. Dort arbeitet er seitdem auf dem Fachgebiet Urbane Ökophysiologie der Pflanzen und leitet die Arbeitsgruppe Vermehrungstechnologie und Baumschulwesen.

Einen Eindruck davon, was man sich darunter vorzustellen hat, bekommen wir auf dem Schönefelder Versuchsfeld. Auf einer Fläche von 150 mal 60 Metern wurden 2010 und im vergangenen Jahr 80 verschiedene Baumarten und -sorten gepflanzt. »Nach bewährtem Baumschulmuster«, erklärt Zander: Die Stämmchen sind im Abstand von zweieinhalb Metern sowohl in den Geraden als auch in den Diagonalen ausgerichtet. Dieser Abstand genügt vorerst, sind doch Wurzelballen und Kronen noch kaum entwickelt. Erst allmählich, Jahr für Jahr, wenn der Gärtner die Bäume »erzieht«, die jeweils unteren Triebe entfernt, gewinnen die Kronen an Breite und Höhe. Darauf kommt es bei Zanders Forschungen an: Dass die Ergebnisse in der Praxis gewonnen werden und dort verwertbar sind.

Mit der Schönefelder Versuchsanordnung verbindet sich ein spezieller Auftrag: Zander und seine Mitarbeiter testen, wie sich exotische Bäume unter den klimatischen Bedingungen Berlins und Brandenburgs entwickeln. Anders gesagt: ob die Exoten den heimischen Baumbestand ergänzen oder notfalls ersetzen können. Denn neben das Wort »Klimawandel« hat Deutschland ganz unaufgeregt das Wort »Klimaanpassung« gesetzt. Plan B. Wer nun glaubt, dass das Bemühen um Klimaanpassung einer Kapitulation im Kampf gegen die Erderwärmung nahekommt, liegt nicht ganz falsch. Aber auch nicht ganz richtig. Ganz richtig liegt er in jedem Fall mit der Annahme, dass die reichen Länder der Welt weniger unter dem Wandel des Klimas zu leiden haben werden als die armen. Klimaanpassungsprogramme laufen unter dem Motto »Rette sich, wer kann«. Deutschland kann, vielleicht.

Zanders Projekt läuft innerhalb des Innovationsnetzwerks Klimaanpassung Berlin-Brandenburg. Inka BB besteht aus einem Konsortium von 20 Forschungseinrichtungen sowie verschiedenen Firmen und Verbänden. Neben der Humboldt-Universität ist auch die Charité beteiligt, die unter anderem untersucht, wie sich Hitzeperioden und Staubbelastung auf das Herz-Kreislaufsystem auswirken. Deren Ergebnisse können bundesweit von Interesse sein, nicht minder die Untersuchungen zur Anpassung der Vegetation im Rahmen von Inka BB: Berlin und Brandenburg gehören zu den Regionen in Deutschland, die schon jetzt nicht mit Niederschlag verwöhnt sind. Somit bietet Schönefeld eine gute natürliche Standortbedingung, um künftiges Klima zu simulieren.

Zur Simulation gehört weiterhin die elektronisch gesteuerte Bewässerung: Von jeder Baumart wurden 15 Exemplare gepflanzt. Fünf von ihnen werden ausreichend mit Wasser versorgt, weitere fünf moderat, die letzten fünf kaum. Jeweils in 30, 60 und 90 Zentimetern Tiefe messen die Forscher die Bodenfeuchtigkeit. Und akribisch dokumentieren sie den Wachstumsrhythmus, den unter diesen Bedingungen jede einzelne Art an den Tag legt: Wann bildet sie Knospen, wann blüht sie, wann beginnen die Triebe zu sprießen, wann stellen sie das Wachsen ein, wann sind die Triebe so verholzt, dass sie den Winter überstehen? Alles läuft auf die Frage hinaus, ob sie mit ihrem Wachstumsrhythmus in die Region passen. Einige der Kandidaten hatten im letzten Jahr Probleme. Zum Beispiel der Zürgelbaum, dessen ursprüngliche Heimat vom Kaukasus bis zum Mittelmeerraum reicht, der sich aber in Ungarn und der Slowakei schon als wichtiger Straßenbaum etabliert hat. In Brandenburg hat er im letzten Jahr die Endknospe erst im November gebildet, so dass sie die Januarfröste nicht überlebte - die letzten Triebe verödeten. Noch mag Zander den Zürgelbaum aber nicht abschreiben. Sein Projekt bei Inka BB endet 2014; dann wird es erste verlässliche Daten geben. Zander will das Projekt bis 2020 über insgesamt zehn Jahre fortführen.

Natürlich haben auch einige heimische Kirschsorten ein Plätzchen im Versuchsfeld gefunden - als Service für regionale Obstbauern. Welche Sorte gedeiht bei Trockenheit auf welcher Unterlage am besten? Büttners Rote Knorpelkirsche auf Colt oder Regina auf Alkavo? Doch das Gros der Schönefelder Probanden, die möglicherweise demnächst deutsche Städte und Landschaften schmücken, stammen aus Südeuropa, Nordamerika, Japan, China. Einreise und Einbürgerung ausdrücklich erwünscht. Zanders Favorit ist der Judasbaum, im Test stehen seine südeuropäische und seine kanadische Variante. Beide zünden im Frühjahr direkt am Stamm ein Feuerwerk rubinroter Blüten: Laut Legende soll sich der Verräter Judas Ischariot an einem solchen Baum erhängt haben, worauf dieser vor Scham rot anlief. Für den nordamerikanischen Amberbaum, vorausgesetzt, er erfüllt die Kriterien, spricht die ebenfalls blutrote Färbung, die dieser freilich erst im Herbst ausbildet. Leicht exzentrisch der japanische Kuchenbaum: Beim Austrieb verströmt er einen zarten Geruch, der an frischen Blechkuchen mit Zimt erinnert.

Um Probanden, die zur Hoffnung berechtigen, ausfindig zu machen, hat Zander Literatur gewälzt und Botanische Gärten »durchforstet«. Doch er hatte auch Partner. So gingen Fachkollegen in der Bayerischen Landesanstalt für Garten und Weinbau mit einem ähnlichen Projekt voran, das schleswig-holsteinische Kompetenzzentrum für Gartenbau Thiensen forscht inzwischen in ähnlicher Richtung, das Zentrum für Gartenbau und Technik in Quedlinburg-Ditfurt führt regelmäßig große Straßenbaumtests im europäischen Maßstab durch und stellt die Ergebnisse zur Verfügung, und die forstwirtschaftliche Fakultät der TU-Dresden in Tharandt erstellte eine Klimaartenmatrix, auf welche die Forscher zurückgreifen können. Brandenburger und Berliner, so Herz- und Kreislauf durchhalten, und nicht zuletzt die Baumschule Lorberg, bald eine der ersten Anbieterinnen neuer exotischer Bäume in Deutschland, werden davon profitieren.

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