Analyse der Krisenproteste in Europa
Ein Buch betrachtet Widerstandsbewegungen
Warum gibt es in Europa trotz der großen Krise relativ wenig gemeinsamen Widerstand? Ein kürzlich im Verlag Assoziation A erschienenes Buch mit dem Titel »Krisen Proteste« (312 Seiten, 18 Euro) gibt einige Antworten auf diese Frage und zieht eine Zwischenbilanz der Proteste, Aufstände und Streikbewegungen, die es bisher als Reaktion auf die sozialen Verwerfungen gab.
Die Ungleichzeitigkeit der Krisenpolitik und der Wahrnehmung bei den Betroffenen erschwert einen gemeinsamen Widerstand. Diese Entkoppelung stellt für die Linken ein großes Problem dar, »das keineswegs mit bloßen Appellen und weltweiten Aufrufen bewältigt werden kann«, schreiben die Herausgeber des Buches, Peter Birke und Max Henninger, in der Einleitung. In zwölf Aufsätzen, die größtenteils auf der Onlineplattform Sozial.Geschichte Online veröffentlicht wurden, werden die aktuellen Bewegungen in den unterschiedlichen Ländern auf hohem Niveau analysiert.
Zur Lage in Griechenland gibt es gleich zwei Beiträge. Während der Historiker Karl Heinz Roth die Vorgeschichte der Krise rekonstruiert und dabei auf das Interesse des griechischen Kapitals am Euro eingeht, beschäftigt sich der Soziologe Gregor Kritidis mit der vielfältigen Widerstandsbewegung der letzten Jahre. Er sieht in den Aufständen nach der Ermordung eines jugendlichen Demonstranten durch die Polizei im Dezember 2008 »die Sterbeurkunde für die alte Ordnung«. Ausführlich geht er auch auf die Bewegung der Empörten ein, die im Sommer 2011 aus Protest gegen die EU-Spardiktate öffentliche Plätze in Griechenland besetzten und mit massiver Polizeirepression konfrontiert waren. Ebenso stellt Kritidis die Bewegung zur Schuldenstreichung vor, die es seit einem Jahr gibt.
Kirstin Carls zeigt am Beispiel Italien auf, wie die technokratische Monti-Regierung in den letzten Monaten Einschnitte in die Arbeits-, und Sozialgesetzgebung umgesetzt hat, die Berlusconis Regierung nach heftigem Widerstand hatte zurückziehen müssen. Das Bündnis The Free Association liefert Hintergrundinformationen über die Proteste in Großbritannien. Zwei spanische Aktivisten beschreiben, wie sich ein Teil der Empörten, nachdem sie Zelte auf den öffentlichen Plätzen aufgegeben hatten, auf den Kampf gegen Häuserräumung und die Unterstützung von Streiks konzentrierten. Das Buch kann nach den Blockupy-Aktionstagen letzte Woche in Frankfurt wichtige Anregungen für eine Perspektivdebatte der Krisenprotestbündnisse liefern.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.