Knallhartes Kaputtsparen

Wie Kürzungen der öffentlichen Ausgaben die Qualität der Hochschulausbildung bedrohen

  • Isidor Grim
  • Lesedauer: 4 Min.
Durch die Euro-Krise wird eine andere Krise verschärft - die des öffentlichen Bildungssektors. Betroffen davon sind vor allem die Studenten.

»Es ist kein Geheimnis«, schreibt Werner Rügemer in seinem Buch über Rating-Agenturen: »Die rigorose Unterwerfung unter das Kreditregime ruiniert die Volkswirtschaften und führt zu einer Gesellschaft, die in Gewinner und Verlierer, in Verhungernde und Übersatte, in Kranke und Gesunde, in Arme auf der einen Seite und Reiche auf der anderen Seite gespalten wird.« Das Kaputtsparen und -kürzen öffentlicher Leistungen sei »in jeweils anderer und auch abgemilderter Form seit langem in der gesamten Eurozone, in der EU und im gesamten ›entwickelten‹ Kapitalismus im Gange. Das ist nicht nur in Portugal, Irland, Spanien, Ungarn und Lettland der Fall, sondern seit Jahrzehnten auch in den reichen und überschuldeten Staaten wie den USA, Deutschland, Japan, Großbritannien und Frankreich.« Rügemer zitiert die Internationale Arbeitsorganisation ILO, der zufolge sich in den letzten Jahren in zwei Dritteln der Industrieländer die Beschäftigungssituation weiter verschlechtert hat: »Hohe Jugendarbeitslosigkeit, Niedriglöhne und hohe Langzeitarbeitslosigkeit werden zum Standard, gerade in den ›erfolgreichen‹ Staaten USA und Deutschland.«

Die Hochschulen in Deutschland und Europa und das Schicksal derer, die sie bevölkern, die Studenten, zeigen diese desaströsen Wirkungen in aller Deutlichkeit. Wie die Studienqualität sich kontinuierlich verschlechtert hat, sieht man daran, dass das wissenschaftliche Personal zwischen 1975 und 2003 um nur 17,3 Prozent gesteigert wurde, während die Zahl der Studenten allein von 1975 bis 1989 um 80 Prozent wuchs. Die Arbeitsgruppe »Alternative Wirtschaftspolitik« hat errechnet, dass im gesamten deutschen Bildungsbereich an laufenden Ausgaben jährlich 56,8 Milliarden Euro (2,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts) fehlen und noch einmal 2 Prozent des BIP bzw. 45,3 Milliarden Euro für einmalige Investitionen aufgewendet werden müssten. Um auf die angestrebte Studierendenquote von 40 Prozent der Bevölkerung zu kommen, müsste an den Hochschulen in Gebäude und Ausstattung investiert werden, man müsste das Bafög erhöhen und Studiengebühren abschaffen. Damit fehlen an den Universitäten aktuell rund 25 Milliarden Euro - öffentliche Ausgaben, wohlgemerkt! Denn die privaten Bildungsausgaben in Deutschland liegen im internationalen Durchschnitt, mit steigender Tendenz, während unsere öffentlichen Bildungsausgaben ganz unten zwischen Ungarn und Italien rangieren (OECD 2008).

Auch in den anderen europäischen Ländern hat sich mittlerweile Schmalhans zum Küchenmeister gemacht. In Ungarn beschloss die Regierung zu Jahresbeginn 15 Prozent Einsparungen am Bildungsbudget und eine neue Regelung, die dem Brain Drain, der Abwanderung der klügsten Köpfe, entgegenwirken soll. So bekommen Studenten ihr Studium nur dann vom Staat bezahlt, wenn sie in den zwanzig Jahren nach dem Abschluss mindestens die doppelte Studiendauer in Ungarn arbeiten. Ein Ergebnis der letzten Bologna-Konferenz der europäischen Bildungsminister in Bukarest ist eine »Mobilitätsagenda«, ein Aktionsplan, um 20 Prozent der europäischen Studierenden einen Auslandsaufenthalt zu ermöglichen. Der hehre Plan wird alle Jahre wieder formuliert, und alle Jahre wieder sagen die nationalen Studentenverbände mehrheitlich, dass fehlendes Geld der Hinderungsgrund Nummer eins für Studierendenmobilität ist.

Tatsächlich ist für viele Studierende ihr Auslandsjahr inzwischen mehr als eine kulturelle Bereicherung. Aus dem wohlhabenden Norwegen kommt die Nachricht, dass man die Zahl ausländischer Hochschulabsolventen auf seinem Arbeitsmarkt nicht mehr absorbieren könne. Viele Spanier, Griechen und Italiener suchen ihr Heil im Norden, weil es zu Hause einfach keine Jobs mehr gibt. In Spanien hat die Jugendarbeitslosigkeit offiziell 50 Prozent erreicht.

Javier Colilla, ein 27-jähriger Student, hat an den Protesten in Madrid der vergangenen Wochen teilgenommen. Wie auch in anderen Städten des Landes, etwa in Barcelona und Valencia, gingen Studenten auf die Straße, um gegen die Kürzungen im Bildungs- und Gesundheitsbereich zu demonstrieren. Zusätzlich werden die Studiengebühren jetzt um die Hälfte teurer. Colilla lebt bei seinen Eltern und sieht nicht die geringste Chance auf einen normalen Job. »Ich denke, im Moment ist meine beste Option nach Deutschland zu gehen und als Tellerwäscher zu arbeiten, etwas Geld zu verdienen und Deutsch zu lernen«, sagte er der Nachrichtenagentur AP.

England ist ein anderer schwerer Fall. Dort werden ab Herbst Studiengebühren auf bis zu 9000 Pfund (11 000 Euro) steigen. Das hat zu »Gebührenflüchtlingen« geführt, die nach Schottland, Wales und Irland wandern. Die hohe Uni-Maut führt im Vereinten Königreich zu Absurditäten: So versuchen Studenten aus Nordirland (Großbritannien) eine irische Großmutter nachzuweisen, um in Irland günstiger studieren zu können. Mit 40 000 Pfund (50 000 Euro) Schulden werden britische Uni-Absolventen bald die höchstverschuldeten Akademiker der Welt sein, noch vor ihren US-amerikanischen Kommilitonen, die insgesamt eine Trillion Dollar (!) Studienschulden angehäuft haben - mehr als alle Kreditkarteninhaber der USA zusammen.

Im föderalen Deutschland, dessen Bildungssystem auch deswegen unterfinanziert ist, weil das »Kooperationsverbot« dem Bund verbietet, in den Ländern an Schulen und Hochschulen zu investieren, gibt es dagegen einen Lichtblick. Studiengebühren könnten auch in Bayern und Niedersachsen fallen. In den letzten beiden Bundesländern mit Gebühren bröckelt nämlich der Konsens zwischen den Konservativen und Liberalen. Grund: Die Angst vor drohenden Niederlagen bei den nächsten Wahlen.

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