BLOGwoche: Politik und Moral
Heute stolperte ich über einen Artikel, in dem beklagt wird, dass offenbar viele Operationen heute eher aus betriebswirtschaftlichen denn aus medizinischen Gründen durchgeführt werden: Sie rechnen sich für das Krankenhaus. Moralisch wird dann in dem Artikel noch auf die bösen Ärzte und Krankenhausleitungen geschimpft.
Ich finde so was immer ein bisschen daneben, denn man kann politische Fragen nicht mit moralischen Kategorien lösen. Wir haben in den vergangenen Jahrzehnten Rahmenbedingungen geschaffen, die konsequent von den im »Gesundheitsbetrieb« Tätigen betriebswirtschaftliches Verhalten einfordern - also warum sich nun wundern, wenn sie sich auch tatsächlich so verhalten?
Schon vor vielen Jahren hat mir eine befreundete Krankenschwester von dieser Entwicklung erzählt: Zuerst sei die »medizinische Indikation« (Behandlungen werden aus medizinischen Gründen angeordnet) durch eine »juristische Indikation« abgelöst worden (Behandlungen werden angeordnet vor dem Hintergrund, ob Patientinnen Regressforderungen stellen können) - was bereits eine Folge der »Verrechtlichung« der Beziehung Ärztin/Patient war. Medizinisch sinnvolle, aber vielleicht nicht hundertprozentig sichere Behandlungen wurden, so schilderte sie es, nicht vorgenommen aus Angst vor Schadensersatzansprüchen. Und heute würde eben mehr und mehr die »ökonomische Indikation« Oberhand gewinnen, Behandlungen also danach angeordnet, ob man damit Gewinn machen kann, ob sie sich »rechnen« oder nicht. Aus diesen Gründen ist die medizinische Versorgung der Menschen sehr viel teurer und sehr viel schlechter als sie aufgrund der vorhandenen Ressourcen sein müsste. Was aber wäre die Lösung?
Ganz sicher keine Lösung ist es, darauf zu setzen, dass sich die Beteiligten aufgrund ihrer »Moral« (oder ihres ärztlichen Ethos) gegen die Rahmenbedingungen stellen, dass sie also für die »gute Sache« das medizinisch Richtige tun, auch auf die Gefahr hin, Ärger mit der Krankenhausleitung bekommen oder weniger zu Geld verdienen.
Die Autorin ist Journalistin und Politikwissenschaftlerin und lebt in Frankfurt am Main; zum Weiterlesen: www.antjeschrupp.com
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.