Katalog der sozialen Grausamkeiten

Chemnitzer Sparbeschlüsse nach Protest vertagt

  • Robert D. Meyer, Chemnitz
  • Lesedauer: 3 Min.
Das sächsische Chemnitz soll in den nächsten Jahren weitere Millionen in seinem Haushalt einsparen. Dagegen regt sich nicht nur unter den Bürgern Widerstand. Selbst die SPD-Fraktion, welche mit Barbara Ludwig die Oberbürgermeisterin stellt, sieht einige geplante Maßnahmen skeptisch.

Kurzfristiger hätte die Entscheidung am Mittwoch nicht ausfallen können: Kaum zwei Stunden vor Beginn der entscheidenden Sitzung über das zweite Sparpaket der Stadt Chemnitz scheint sich Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig (SPD) einer Mehrheit für das das sogenannte Entwicklungs- und Konsolidierungskonzept - Ekko II - nicht mehr sicher zu sein. Die Beschlussvorlage für das Maßnahmenpaket wird vom Stadtoberhaupt deshalb wieder von der Tagesordnung genommen.

Rathaus mit Marterpfahl

Von der Entscheidung bekommen die Demonstranten vor dem Rathaus allerdings zunächst nichts mit. Mehrere hundert Chemnitzer haben sich auf dem Marktplatz versammelt, um für die Ablehnung des Sparpaketes zu demonstrieren. Vor der Treppe des Rathauses errichten die Demonstranten eine kleine Indianerzeltstadt, ein etwa drei Meter hoher Marterpfahl wird aufgestellt. Mitte Mai, als die Vorschläge zum Sparpaket von Ludwig und Stadtkämmerer Berthold Brehm (CDU) vorgestellt wurden, hatten Sozialarbeiter und Künstler der Stadt bereits symbolisch das Kriegsbeil ausgegraben.

Der Grund für ihren Ärger: Knapp drei Viertel der mehr als 40 Sparbeschlüsse in einer Gesamthöhe von 15 Millionen Euro sollen zulasten von »Kürzungen im Bereich Soziales, Jugend und Sport« geschehen, warnt LINKEN-Stadträtin Sabine Pester. Die kurzfristige Absetzung der Entscheidung über das Ekko II hält Pester für politisches Kalkül der Oberbürgermeisterin. Dabei habe sich schon vor Wochen gezeigt, dass das Sparpaket keine Mehrheit finden würde. Die LINKE, immerhin zweitgrößte Fraktion im Stadtrat, spricht von einem »Katalog der sozialen Grausamkeiten«. Das Freibad im Stadtteil Bernsdorf soll bis 2015 geschlossen werden, ähnlich soll es dem Hallenbad ergehen. Selbst der CDU, sonst eher mehr Freundin als Gegnerin von Sparbeschlüssen, geht letztere Maßnahme zu weit. So monierte kürzlich deren Fraktionsvize Tino Fritzsche, die Stadt hätte erst kürzlich 150 000 Euro in die Sanierung der Bernsdorfer Schwimmhalle gesteckt.

Hart treffen könnte es auch den Nachwuchs. Statt bisher 7,5 Stunden soll dieser in Kindergärten täglich nur noch 6 Stunden betreut werden, wenn mindestens ein Elternteil nicht berufstätig ist. Eine solche Maßnahme sieht sogar die SPD-Fraktion skeptisch. Mit der Parteikollegin im Chefsessel des Rathauses wollen sich die Sozialdemokraten aber dennoch nicht anlegen. Immerhin stehen im kommenden Jahr Oberbürgermeisterwahlen in Sachsens drittgrößter Stadt an. Ein innerparteilicher Streit käme der SPD daher ungelegen, zumal laut Lesart von Ludwig die Stadtverwaltung nicht anders könne als die bereits 2011 mit einem ersten Sparpaket begonnenen Kürzungen fortzusetzen.

Kein Kredit

Ein bisschen erinnert die Lage des Chemnitzer Haushaltes an die Situation Griechenlands. Doch statt sparwütiger Europapolitiker droht das Ungemach von Seiten der Landesdirektion Sachsen. Die hat den derzeitigen Chemnitzer Haushalt nur unter Auflagen genehmigt. Ohne weitere Einsparungen, so die Aufsichtsbehörde, dürfe die Stadt keine neuen Kredite aufnehmen und bekomme auch keine weiteren Fördermittel des Freistaates ausbezahlt.

Dabei sollen die Einnahmen Sachsens nach Schätzungen des Finanzministeriums bis 2014 um 21 Prozent steigen. Mehr Geld für die klammen Kassen der Kommunen wird es aber nicht geben. Statt dessen muss der Stadtrat am 2. Juli auf einer Sondersitzung über die Sparmaßnahmen entscheiden.

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