Bankrotteure entmächtigen

Demokratie statt Fiskalpakt

  • Gerhard Klas
  • Lesedauer: 3 Min.

Die EU steckt in der tiefsten Krise ihrer Geschichte. Wer ist dafür verantwortlich? Und wie sollte auf sie reagiert werden? Missmanagement, korrupte Bürokratien südeuropäischer Länder und der »faule Grieche« werden gerne als Sündenböcke zitiert. Diese oberflächlichen und falschen Betrachtungen machen sich auch EU-Politiker und die meisten Regierungen der Mitgliedsländer zu eigen, wenn sie die drastischen Sparprogramme gegenüber den Defizit-Ländern rechtfertigen. Aus gutem Grund: Damit wollen sie der eigenen Bankrotterklärung aus dem Wege gehen, zu der seriöse Analysen unweigerlich führen würden.

Die Autoren des von einer Forschungsgruppe im Auftrag der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung herausgegebenen Bandes bieten eine tiefgehende Analyse. Und sie beschönigen die Situation nicht. Die Politologen, Soziologen, Anthropologen, Philosophen und Rechtswissenschaftler benennen die diversen politischen Lager und deren Zielsetzungen, darunter ein neoliberales, ein national-konservatives und ein proeuropäisch-soziales Lager. Letzteres setzt auf eine Angleichung der sozialen Standards in der EU mittels einer Umverteilung des Reichtums von oben nach unten - dazu zählen viele Parteien links der Sozialdemokratie, Teile der Gewerkschaften und die occupy-Bewegung, die auch in vielen Ländern der EU aktiv ist und am Beispiel Spaniens hier eingehend untersucht wird.

Weil aber kaum eine europäische Zivilgesellschaft vorhanden ist, so die Autoren, sei es sehr schwer, eine Politik der sozialen Umverteilung einzuleiten. Die Gewerkschaften sind viel zu sehr auf den nationalstaatlichen Politikrahmen fixiert und haben nur wenig Einfluss auf der EU-Ebene. Das neoliberale Lager dominiert trotz seiner Legitimationskrise das politische Handeln der Europäischen Union. Ihm spielt in die Hände, dass die EU in ihrer inneren Struktur grundlegend undemokratisch verfasst ist und Wirtschaft und Politik in Brüssel ein geradezu symbiotisches Verhältnis eingegangen sind. Als Beispiel nennt Pia Eberhardt den neuen Präsidenten der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, den ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der Investmentbank Goldman Sachs, die maßgeblich mit für die Finanzkrise verantwortlich ist.

Sogar die vorsichtigen Schritte hin zu mehr repräsentativer Demokratie, eingeleitet durch Kompetenzerweiterungen für das EU-Parlament vor drei Jahren, werden ad absurdum geführt. Die Exekutive konzentriert immer mehr Macht auf sich: Strafzahlungen für Defizitländer soll die EU-Kommission künftig ohne das Europäische Parlament verhängen können. Die Krise werde die Kommission früher oder später dazu veranlassen, auch dem Norden der Europäischen Union drastische Sparprogramme zu diktieren, warnen die Autoren. Zwang soll die wegbrechende Zustimmung für das neoliberale EU-Projekt ersetzen.

Die Wissenschaftler analysieren zudem das Migrationsregime der EU, die Debatte um die Wiedererrichtung der Binnengrenzen sowie den erstarkenden Rechtspopulismus in Europa. Hoffnung macht den Autoren der Hauch eines europäischen Frühlings, der u. a. von der occupy-Bewegung in Spanien und Griechenland ausgeht und dem sich die Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung im März des Jahres mit dem Aufruf »Demokratie statt Fiskalpakt« angeschlossen hat.

Forschungsgruppe »Staatsprojekt Europa« (Hg.): Die EU in der Krise. Westfälisches Dampfboot, Münster. 165 S., br., 15,90 €.

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