Als Nachbarn unerwünscht

Leipzig bringt Flüchtlinge dezentraler unter, das stößt auf Widerstand

  • Hendrik Lasch
  • Lesedauer: 3 Min.
In Leipzig werden Migranten künftig in kleineren Heimen untergebracht. Dass alle in eigenen Wohnungen leben können, verhindern sächsische Gesetze.

Als SPD-Oberbürgermeister Burkhard Jung im Leipziger Stadtrat die Debatte über die Unterbringung von Flüchtlingen eröffnete, kochten auf der Empore die Emotionen hoch. »Wir sind das Volk!«, skandierten gut situierte Bürger. Es war ein milder Nachklang der Debatten, die zuletzt in bürgerlichen Quartieren um die Frage tobten, ob Eigenheime und Häuser für Flüchtlinge nebeneinander passen. Die Diskussionen seien oft »unter der Gürtellinie« verlaufen, sagt SPD-Stadtrat Christoph Zenker. Migranten wurden pauschal als Kriminelle und Drogendealer gebrandmarkt, ihre Nachbarschaft als Gefahr für den Immobilienwert gesehen. Man habe »rassistische Stereotype auf die Spitze getrieben«, sagt LINKE-Stadträtin Juliane Nagel.

Verwaltung und Stadtrat indes haben sich durch den Bürgerzorn nicht grundsätzlich von einer Korrektur im Umgang mit Flüchtlingen abbringen lassen. Sie werden künftig überwiegend in Heimen mit weniger als 50 Bewohnern leben; nur eine Gemeinschaftsunterkunft in Grünau mit 220 Plätzen soll weiter bestehen bleiben. Das für seine katastrophalen Lebensbedingungen kritisierte Heim Torgauer Straße wird geschlossen. Sieben kleinere Häuser mit 264 Plätzen sind über die Stadt verteilt. Meist handelt es sich um städtische Immobilien, es konnte aber auch ein privater Eigentümer gewonnen werden. Mit dem Konzept gebe es, sagte Sozialbürgermeister Thomas Fabian, in Leipzig »gute Rahmenbedingungen für nachbarschaftliches Miteinander - auch mit Flüchtlingen«. Als »richtigen Schritt« sieht Nagel das Konzept, das indes die Lebenssituation der Migranten nur »geringfügig« verbessere: Pro Bewohner werden nur 7,5 Quadratmeter veranschlagt; auch arbeiten dürfen die meisten nicht. Im Kern bleibe die »grundlegend falsche« Asylgesetzgebung bestehen.

Leipzig bemüht sich freilich um Erleichterungen: Von derzeit 1100 Flüchtlingen leben nur noch 450 in »Gemeinschaftsunterkünften«; der größere Teil ist bereits in eigene Wohnungen gezogen. Einer weiteren Dezentralisierung stehen aber die Gesetze im Freistaat entgegen: Sachsen sieht die Heimunterbringung als Regelfall an - auch wenn diese teurer ist und der Integration entgegen steht. Die Leipziger Stadträte forderten am Mittwoch in Punkt 12 ihres Beschlusses, die Regelung aufzuheben.

Wegen der insgesamt steigenden Zuwanderungszahlen rechnet die Stadt Leipzig mit einem Bedarf von 670 Plätzen in Heimen. In den acht jetzt gesicherten Häusern gibt es aber nur gut 480 Plätze; weitere Gebäude müssen deshalb gesucht werden. Dann dürfte sich auch der Streit in einzelnen Stadtteilen fortsetzen, den nicht zuletzt die NPD aufheizt. Deren Stadtrat Klaus Ufer geißelte eine »unverhältnismäßig hohe Überfremdung« in der Stadt - in der Flüchtlinge freilich lediglich einen Bevölkerungsanteil von 0,2 Prozent ausmachen. Auch der CDU-Abgeordnete Wolf-Dietrich Rost mahnt und wiegt gleichzeitig ab: Man müsse die Nöte der Flüchtlinge sehen, aber auch die Belange jener, »die hier leben«. Ein Initiativkreis »No Heim« hat indes 5400 Unterschriften für das neue Konzept gesammelt.

Der beste Weg, um beide Seiten einander näher zu bringen, sei nun ein gegenseitiges Kennenlernen, sagt die Grüne Stadträtin Annette Körner. Beim gemeinsamen Gärtnern könne man mehr über das Schicksal vieler Flüchtlinge erfahren, dass die Migranten oft vor drohendem Tod und Folter geflohen sind - was viele Nöte der Leipziger wohl etwas relativiere. »Ängste können durch Erfahrung abgebaut werden«, sagt auch SPD-Mann Zenker.

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