Legenden, Lügen, Mythen, Klischees

Rüdiger Wenzke beschreibt den Militärstrafvollzug in der DDR

  • Martin Meier
  • Lesedauer: 3 Min.
Wachturm und Mauer des ehemaligen NVA-Gefängnisses in Schwedt
Wachturm und Mauer des ehemaligen NVA-Gefängnisses in Schwedt

Wohl jeder ehemalige Angehörige der »bewaffneten Organe« der DDR kennt Geschichten, Gerüchte, Anekdoten über die Militärstrafanstalt Schwedt. Selbst noch ein Kind, hörte ich von Menschen, die im »Militärknast« einsaßen. Nie würden sie auch nur ein Wort über ihre schwere Zeit dort reden, sagte man mir. Dies ist nunmehr viele Jahre her. Und doch, aller Geheimniskrämerei zum Trotze, die ansonsten rasch ruhmheischende Schreiber auf den Plan ruft, blieb der Militärstrafvollzug in Schwedt ein Desiderat der DDR-Geschichtsschreibung. Bis jetzt. Rüdiger Wenzke, früherer Mitarbeiter des Militärgeschichtlichen Instituts der DDR und nun Historiker am Militärgeschichtlichen Forschungsamt in Potsdam, widmet sich dem 1968 entstandenen Militärgefängnis der DDR in der von ihm gewohnten akribisch-recherchierten, gut lesbaren Art.

Der Autor bettet seinen Untersuchungsgegenstand historisch ein, verdeutlicht den Traditionsbruch mit der alten deutschen Militärgerichtsbarkeit und die Anbindung an das sowjetische Vorbild. Analysiert wird auch das latene Kompetenzgerangel der Ermittlungsbehörden, zwischen der Militärstaatsanwaltschaft, der für die Verfolgung von Nazi- und Kriegsverbrechern zuständigen Hauptabteilung XI des Ministeriums für Staatssicherheit und der Hauptabteilung I des MfS, deren Aufgabe in erster Linie die »Abwehrarbeit« (Spionage/Sabotage) war. Wenzke schildert die Geschichte des Militärstrafvollzuges in der DDR von ihren Anfängen in Berndshof über das Haftarbeitslager Nitzow bis hin zum Endstandort Schwedt an der Oder. Er versucht, die »Legenden, Lügen, Mythen und Klischees« auszuräumen, die sich um dieses Kapitel ranken. Er weist nach, dass diese teils sogar in der DDR zur Abschreckung staatlich gefördert wurden.

Schwedt war keineswegs ein »normaler Stafvollzug«. Die hohen körperlichen, seelischen und militärischen Belastungen unterschieden sich vom zivilen Haftalltag in der DDR. So musste beispielsweise vor und nach den Arbeitsschichten die Sturmbahn überwunden werden, und an den Wochenenden hatten die Gefangenen stundenlangen Politunterricht zu ertragen. Andererseits war Schwedt auch kein »Zuchthaus« oder eine Stätte unbegrenzter Willkür. Körperliche Züchtigung gab es sehr selten. Statt dessen übte man subtilen psychischen Druck auf die Häftlinge aus.

Die Palette der bestraften Delikte reichte von Befehlsverweigerung über Fahnenflucht bis hin zu schweren Kriminalstraftaten. Ein erheblicher Teil der Soldaten im Militärstrafvollzug hatte sich durch Angriffe auf Vorgesetzte oder andere Militärpersonen bzw. durch unerlaubte Entfernung von der Truppe strafbar gemacht. Der Anteil jener Gefangenen, die wegen politischer Verstöße einsaßen, war äußerst gering. So verzeichnet Wenzke für das Jahr 1963 nur 2,2 Prozent der Inhaftierten, die der »Staatsverleumdung« bezichtigt wurden. Etwas fraglich erscheint seine Bemerkung: »Während in der Truppe mitunter Gammelei und Langeweile den Alltag bestimmten, war in Schwedt der Tag vom Wecken bis zur Nachtruhe durchgeplant.« Ansonsten ein sehr sachliches Buch.

Rüdiger Wenzke: Ab nach Schwedt! Die Geschichte des DDR-Militärstrafvollzugs, Ch. Links Verlag, Berlin. 492 S., br., 39,90 €.

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