Kontrollierter Kontrollverlust

Die Medienkunstplattform Ars Electronica schafft ein Versuchslabor im Automobil Forum

  • Anouk Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Eine 25 Meter lange Stahlbahn, durch die eine Welle läuft und sanft alles anhebt, das sich auf ihr befindet; Nonsens-Maschinen, die per Kettenreaktion einfache Aufgaben so kompliziert erledigen wie möglich; digitale Experimente, bei denen man mit Augen und Ohren des anderen sehen bzw. hören kann. Dies alles und etliches mehr hält die großartige Ausstellung »Ars Electronica« im Automobil Forum Unter den Linden bereit.

»Impuls und Bewegung« ist das Thema bei der dritten gemeinsamen Schau der Medienkunstplattform Ars Electronica und dem Autoforum in Mitte - wobei die Ansammlung von zwölf Exponaten und sechs Videoarbeiten eher ein interaktives Versuchslabor ist als eine klassische Ausstellung: Mitmachen ist ausdrücklich erwünscht. Im Kern geht es bei den Arbeiten von Künstlern aus Europa, den USA und Japan um das Verhältnis von Selbst- und Fremdbestimmung und um die Frage, wie man mit realen und fiktiven Hindernissen umgeht.

Mit kontrolliertem Kontrollverlust befasst sich zum Beispiel die 25 Meter lange Stahlplatte »Floor« von Cantoni/Crescenti, die mitten durchs Untergeschoss des Automobil Forums verläuft. Tritt ein Besucher auf eines der beiden Enden, reagiert die Platte mit einem wellenförmigen Impuls, der die darauf stehenden oder liegenden Personen sanft anhebt.

Wie die neuen Medien auch neue Kommunikationsformen eröffnen, zeigen zwei soziale Experimente: Der japanische Künstler Kazuhiko Hachiya hat für seine »Inter-Discommunication Machine« futuristisch anmutende Brillen konzipiert, die es per Monitor und Außenkamera möglich machen, mit den Augen des anderen zu sehen. Hören mit den Ohren des Gegenübers ermöglicht Julius Stahls »Transitions«, ein geschlossenes System mit Kopfhörern und Mikros, bei der Geräusche der Umgebung aufgenommen und per Funk an den eigenen Kopfhörer übertragen werden; der eigene Gehörsinn wird so mit dem des anderen »vertauscht«. Und der Engländer Dash MacDonald erkundet mit zwei unabhängig voneinander per Fernbedienung zu steuernden Rollschuhen, wie Menschen die Kontrolle über andere ausnutzen.

Um den Wettbewerb Mensch-Maschine geht es dagegen u.a. in Joseph Herschers »Tipp-Kicker«: Die über zwei Etagen reichende, irrwitzige Kettenreaktions-Apparatur, in der Alltagsgegenstände wie ein Blumentopf, Eimer und Harke sowie zwei Räder in luftiger Höhe eine Rolle spielen, dröselt den Schuss eines Tipp-Kick-Spielers in unzählige unnötige Einzelschritte auf, an deren Ende der Ball im Tor landet - oder auch nicht, wenn der menschliche Gegenspieler dies verhindert.

Mit dem komplizierten menschlichen Gleichgewichtssinn spielt das Experiment »Save yourself!« von Junji Watanabe, Tomofumi Yoshida und Hideyuki Ando: Es gilt, ein kleines Plastikfloß in einer mit Wasser gefüllten Schüssel möglichst erschütterungsfrei zu balancieren. Eine am Floß angebrachte Elektrode verstärkt jedes Zittern und Schwanken und gibt es über Kopfhörer ans Innenohr des Probanden weiter, so dass dieser gehörig ins Schleudern kommt.

Nicht weniger spannend sind auch die meisten der präsentierten Videoarbeiten. Zwei zeigen die aus Paris stammende Trendsportart Parcours, die Band OK GO baut 1000 Instrumente in der kalifornischen Wüste auf. Eines der großartigsten Erlebnisse wartet aber am Ende der Schau: In einem extra abgedunkelten Raum zeigt Ryota Kuwakubo seine Installation »The Tenth Sentiment« - eine surreal-poetische Miniaturlandschaft, die durch den Schattenwurf ganz gewöhnlicher Objekte entsteht, durch die ein Miniaturzug mit LED-Lampe fährt. Zauberhaft und philosophisch zugleich.

Bis 16.9., Automobil Forum

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