Mordwaffe im Panzerschrank

Skandalfirma Verfassungsschutz: Niemand wird jemals erfahren, wie genau der linke Studenten und V-Mann Ulrich Schmücker starb

  • Velten Schäfer
  • Lesedauer: 4 Min.
Wie kommt eine Mordwaffe in den Verfassungsschutztresor? Weil die Staatsschützer einem politischen Mord zugesehen haben. Und das wäre noch die sauberste Erklärung für den bizarren Mordfall um Ulrich Schmücker im Juni 1974.

Auf welches Land würden Sie bei folgender Story tippen? Ein junger Student, Mitglied in oppositionellen Gruppen und Geheimdienstspitzel, wird erschossen aufgefunden - und 15 Jahre später taucht die Tatwaffe in einem Geheimdiensttresor auf: Klingt das nach Belarus? Nach der Ukraine? Jemen? Weit gefehlt. Es handelt sich um die Bundesrepublik Deutschland der 1970er und 1980er Jahre - und der betreffende Geheimdienst war niemand anders als das Westberliner »Landesamt für Verfassungsschutz«.

Die bizarre Geschichte um den Mord an Ulrich Schmücker gehört zu den Höhepunkten der Skandalchronik westdeutscher Inlandsgeheimdienste. Denn immerhin geht es hier um nichts anderes als das, was im Schlapphutjargon angeblich eine »nasse Sache« genannt wird. Und bis heute ist nicht wirklich zu klären, wer den damals 22-Jährigen in der Nacht des 4. auf den 5. Juni 1974 im Grunewald aus kurzer Distanz niederschoss.

Dabei hat man dies mit erheblichem Aufwand versucht: Um seinen Tod entspann sich zwischen 1976 und 1991 der längste Strafprozess in der Geschichte der Bundesrepublik - der irgendwann im Nichts endete. Im vierten und letzten Verfahren verkündete das Gericht schließlich entnervt, angesichts der offenkundigen vielfachen Manipulation des Verfahrens »trotz Tatverdachts« kein Recht sprechen zu können.

Dieser Offenbarungseid des Rechtsstaates war immerhin ehrlich - und damit schon das Erfreulichste an dem in vier Prozesse zerfallenden Verfahren, das unglaubliche 591 Verhandlungstage dauerte. Dreimal waren zuvor Mitglieder einer linksradikalen Kommune aus Wolfsburg verurteilt worden, dreimal hatte der Bundesgerichtshof das Urteil wieder kassiert.

War es tatsächlich der »Fememord«, als der der Fall zeitgenössisch dargestellt wurde? Ulrich Schmücker war 1972 als Mitglied der »Bewegung 2. Juni« in Bonn verhaftet worden, wo die Militanten eine Attacke auf das türkische Konsulat geplant hatten. Im Gefängnis hat Schmücker als V-Mann »Kette« kooperiert. Wie weit diese Zusammenarbeit ging, ist nicht ganz klar; auffallend ist, dass Schmücker für den Bombenplan nicht über die U-Haft hinaus einsaß. Einen fingierten Ausbruch, der ihm eine neue Legende hätte geben können, soll Schmücker dabei abgelehnt haben.

Wer den jungen Studenten tatsächlich ermordet hat, wird bis auf Weiteres gerichtlich unklar bleiben. Mitte der 1980er Jahre aber - zu diesem Zeitpunkt hatten die Verurteilten schon mehrere Jahre Gefängnis hinter sich - stellte sich plötzlich heraus, wer zumindest indirekt dabei war: der Berliner Verfassungsschutz, der offenbar kurz nach der Tat für ein Jahrzehnt die Mordwaffe verschwinden ließ.

Ging die Initiative tatsächlich auf ein Komplott der Szene zurück, hat der VS »nur« zugesehen? Wilde Pläne hatten Schmückers Genossen sehr wohl geschmiedet. Und die Geheimen, die das alles wussten, hätten immerhin einen theoretischen Grund gehabt, einen Mord geschehen zu lassen: Viele ihrer Informationen über die Militanten stammten vom V-Mann »Wien« alias Peter Weingraber, der in der Szenekneipe »Tarantel« arbeitete. Eine Intervention in Sachen Schmücker hätte den Topspitzel am Zapfhahn verraten können. Weingraber soll auch die Mordwaffe zum Verfassungsschutz gebracht haben.

Diese Version ist die »sauberste« mögliche Erklärung. Denkbar wären auch ganz andere Deutungen. Immerhin ist bekannt, dass Schmücker mindestens einmal versucht hat, seinen VS-Kontaktmann »Peter Rühl« alias Michael Grünhagen vor seinen Genossen zu enttarnen. Weingraber soll mit dem Spitzelgeld ein hübsches Weingut in Italien betreiben. V-Mann-Führer Grünhagen ist angeblich 1988 sehr jung an Hautkrebs verstorben - da prüfte der BGH gerade das zweite Urteil im Skandalprozess.

Aus Sicht der Demokratieschützer von Landesamt kam auch dieser vermeintliche Todesfall gerade zur rechten Zeit - schließlich soll Grünhagen auch der Agentenführer des berühmtem Sprengstoffprovokateurs und Verfassungsschutz-IM Peter Urbach gewesen sein. Einer wie er hätte wahrlich etwas zu erzählen. Müßig zu erwähnen, dass es auch andere Theorien über den Verbleib des Michael Grünhagen gibt.

Klar ist bei all dem eigentlich nur eins: Für eine solche Geschichte muss wirklich niemand nach Belarus fahren.

Damit endet die nd-Serie über Skandale des Verfassungsschutzes. Alle Texte unter www.nd-aktuell.de/ vspannen

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