Karlsruhe erlaubt Einsatz militärischer Mittel im Inland

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Darf die Bundeswehr zur Gefahrenabwehr im Inland schießen? Das Bundesverfassungsgericht sagt Ja - stellt aber strengste Bedingungen. Passagierflugzeuge dürfen nicht abgeschossen werden. Die CSU ist erfreut, denn die Staatsregierung war nach Karlsruhe gezogen.
Karlsruhe (dpa/lby) - Die Bundeswehr darf in extremen Ausnahmefällen zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Katastrophe auch im Inland eingesetzt werden. Das hat das Bundesverfassungsgericht in einem am Freitag veröffentlichten Beschluss entschieden. Ein Abschuss von Passagiermaschinen, etwa im Fall eines Terrorangriffs, bleibt aber verboten. Zudem sei auch in Eilfällen immer ein Beschluss der gesamten Bundesregierung erforderlich (Az. 2 PBvU 1/11). Die Entscheidung geht zurück auf eine Normenkontrollklage der früheren CSU-Alleinregierung in Bayern und der hessischen Landesregierung.

Bei einem Einsatz der Bundeswehr in Unglücksfällen - zu denen grundsätzlich auch Terrorangriffe zählen können - seien strikte Bedingungen zu beachten, entschied das Plenum aus beiden Senaten des Gerichts. Zur Voraussetzung machen die Verfassungsrichter ein Ereignis "von katastrophischen Dimensionen". Damit erlaubt laut Verfassungsgericht nicht jede Gefahrensituation den Einsatz der Streitkräfte - auch wenn ein Bundesland mit seiner Polizei damit überfordert wäre. Zwar müssen die Behörden nicht abwarten, bis Schäden eingetreten sind; der Eintritt katastrophaler Schäden müsse jedoch "unmittelbar bevorstehen".

Insbesondere verbieten die Verfassungsrichter einen Einsatz wegen Gefahren, "die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen". Der Einsatz der Streitkräfte wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Abwehrmittel sei zudem stets nur als letztes Mittel zulässig.

Zudem stellte das Gericht eine weitere Hürde auf, die das Verfahren betrifft: Über den Einsatz der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr im Inland müsse stets die Bundesregierung als Kollegialorgan entscheiden. Die Entscheidung dürfe auch in Eilfällen nicht auf ein einzelnes Regierungsmitglied - etwa den Verteidigungsminister - übertragen werden.

Mit dem Beschluss korrigierte das Plenum aus beiden Senaten des Gerichts eine Entscheidung des Ersten Senats zum Luftsicherheitsgesetz aus dem Jahr 2006. Damals hatte der Erste Senat einen Einsatz der Streitkräfte im Inland "mit spezifisch militärischen Waffen" generell ausgeschlossen. Zugleich hatte der Erste Senat den Abschuss von Passagiermaschinen verboten, soweit unbeteiligte Menschen an Bord betroffen wären. An diesem Teil der damaligen Entscheidung ändert der aktuelle Beschluss nichts.

Zu der Entscheidung des Plenums kam es, weil die Bundesländer Bayern und Hessen Normenkontrollanträge gegen das Luftsicherheitsgesetz gestellt hatten, für die - im Gegensatz zu dem Urteil aus dem Jahr 2006 - der Zweite Senat zuständig war. Bayern und Hessen hatten die Verletzung von Länderkompetenzen gerügt. Die damalige große Koalition plante eigentlich eine schnelle Neuregelung, das scheiterte jedoch.

Daraufhin habe Bayern 2010 eine grundsätzliche Klärung in Karlsuhe beantragt, sagte ein Sprecher des Innenministeriums in München. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) reagierte ebenso erfreut auf die Karlsruher Entscheidung wie Justizministerin Beate Merk (CSU). "Ich begrüße, dass das Bundesverfassungsgericht im Ergebnis die Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr im Inland bei schweren Katastrophenfällen erweitert und insoweit Rechtssicherheit hergestellt hat", erklärte Merk. Dadurch gelinge es, die "besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten der Bundeswehr" in solchen Fällen nutzbar zu machen - im Interesse der Sicherheit der Menschen. Es ist erst die fünfte Plenarentscheidung des Verfassungsgerichts seit seiner Gründung.
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