Einseitig für die Stromriesen

  • Sebastian Sladek
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Bundesregierung hat beschlossen, dass die Energiewende nur mit einem massiven Ausbau der Offshore-Windkraft gelingen kann. 2050 soll sie 60 bis 80 Prozent der Stromerzeugung ausmachen. Jedoch besagt bereits der gesunde Menschenverstand, nicht derart einseitig auf eine bestimmte Technologie zu setzen. Dies umso mehr, da gerade unter technischen Gesichtspunkten noch einige Unwägbarkeiten hinsichtlich der Offshore-Windkraft zu konstatieren sind.

Halten die verwendeten Materialien den Belastungen dauerhaft stand? Ist die funktechnische Erreichbarkeit auch bei extremen Wetterlagen jederzeit gegeben? Sind Netzausfälle im Rahmen eines angemessenen Zeitfensters beherrschbar? Nicht auszudenken, wenn wir etwa bei Sturmflut von 70 Prozent unserer Stromerzeugungskapazitäten abgeschnitten wären.

Ein von Befürwortern inzwischen gebetsmühlenartig vorgebrachtes Argument besagt, dass man Windkraftanlagen dort aufstellen müsse, wo sie die höchsten Erträge brächten. Nun, sicherlich macht es keinen Sinn, Anlagen in windstillen Gebieten aufzustellen. Allerdings darf die Windhöffigkeit nicht zum alleinigen Entscheidungskriterium erhoben werden, die Nähe zum Verbraucher ist ebenfalls von Relevanz. Es ist widersinnig, zehntausende Megawatt Erzeugungsleistung in Nord- und Ostsee zu installieren und die dort erzeugten Energiemengen dann quer durch die Republik zu den Verbrauchszentren zu transportieren. Der hierfür notwendige Leitungsausbau wird sehr hohe Investitionen erfordern, geht mit massivem Flächenverbrauch einher und wird sich auf vielfältige Weise mit dem Widerstand betroffener Bevölkerungsgruppen auseinandersetzen müssen. Derzeit scheitert dieses Leitungsvorhaben vielfach bereits an der ersten Etappe, der Netzanbindung.

Bei Onshore-Windkraft hingegen zeigt die Lernkurve steil nach oben. Die Errichtung ist günstiger, der Betrieb weitaus risikoärmer. Überdies liegen in den Mittelgebirgen Bayerns und Baden-Württembergs noch große Flächen zur Nutzung brach, die es an Windhöffigkeit mit manchem Küstenstandort aufnehmen können und noch dazu näher an den Verbrauchszentren liegen. Die nicht zuletzt durch das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) vorangetriebene Verbreitung regenerativer Stromerzeugungstechnologien hat zu einem Wissenstransfer in breite Bevölkerungsschichten geführt, die als tragfähiges Fundament einer Onshore-Energiewende dienen können.

Warum also wählt die Bundesregierung diesen einseitigen, für den Industriestandort Deutschland gefährlichen Weg?

Nun, die 25 Prozent erneuerbarer Energien, die wir im ersten Halbjahr 2012 erreicht haben, wurden zuallererst von Bürgern, mittelständischen Unternehmen und Kommunen ans Netz gebracht. Der Anteil der vier großen Energiekonzerne hieran ist sehr gering. Ein Viertel des Produktionssektors ist für die Konzerne bereits verloren, nun gilt es, die noch verbliebenen 75 Prozent mit Unterstützung der Politik zu verteidigen.

In der Tat liest sich die EEG-Novelle 2012 wie ein Entschädigungsprogramm für den gescheiterten Ausstieg aus dem Atomausstieg. Wurde die Technologie der Kraft-Wärme-Kopplung immer schon recht stiefmütterlich behandelt, so geht es nun der ebenfalls für eine dezentrale Energieversorgung sehr geeigneten Photovoltaik an den Kragen. Während großtechnische Lösungen - wie eben Offshore-Windkraft - über Gebühr vergütet werden. Maximal 19 Cent pro Kilowattstunde Einspeisevergütung locken bereits global agierende Hedgefonds an, ein Indiz für die zu erwartenden hohen Renditen. Zugleich wird aber auch deutlich, dass nur große Player diese Investitionen stemmen können, der Bürger hingegen außen vor bleiben muss. Eine Einschätzung, die auch durch die Antragslage gestützt wird.

Die Politik hat sich entschieden, den Konzernen zu helfen, ihre zentralen Strukturen in das erneuerbare Zeitalter zu retten. Dieser Weg ist nicht nur teurer und riskanter, als unter Beteiligung aller gesellschaftlichen Kräfte zuvorderst die lokalen Potenziale zu heben. Er ist letztlich auch antidemokratisch. Die Zukunftsfähigkeit eines demokratischen Systems erweist sich an dem Willen, Partizipation zuzulassen. Nicht zuletzt hierfür war und ist das EEG ein herausragendes Instrument.

Die mit Unterstützung vieler Medien betriebene Mystifizierung der Energieversorgung zur Sicherung von exklusivem Herrschaftswissen und die Forcierung des Offshore-Ausbaus bei gleichzeitig zunehmender Verdammung des EEG unterstreichen eindrücklich, dass die Regierung die Energiewende als Top-down- (von oben nach unten) und nicht als Bottom-up-Projekt (von unten nach oben) plant. Das ist schade, weil sie sich kleinmütig den vielfältigen Möglichkeiten einer echten Wende in der Energieversorgung verschließt.

Doch auch unter diesen Prämissen mag das Projekt gelingen, allerdings zu höheren Risiken, höheren Kosten und unter Fortführung einer Abhängigkeit, die die Politik offenbar willig eingeht und der Bürger notgedrungen hinnehmen muss. Die Energiewende kann auch ohne Offshore-Windkraft gelingen. Allerdings wäre ein vollständiger Verzicht ebenso überzogen, wie die derzeit stattfindende einseitige Priorisierung.

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