Die Zeche zahlt die »Unterschicht«

Der Politologe Ingar Solty über Krise, Wahlen und Rechte in den USA

  • Lesedauer: 3 Min.
Ingar Solty, 1979 geboren, ist Doktorand im Fachbereich Politikwissenschaft der York University in Toronto und Redakteur der Zeitschrift »Das Argument«. In seiner Dissertation beschäftigt er sich mit der politischen Ökonomie des Rechtspopulismus in den USA. Mit ihm sprach für »nd« Max Böhnel.

nd: Was müsste der hölzerne Mitt Romney auf dem Parteitag der Republikaner tun, damit sich die Parteibasis geschlossen hinter ihn stellt?
Solty: Romney hatte in der Tat erhebliche Probleme mit der Parteibasis. Er war von Anfang an der Kandidat der Parteieliten. Seine Gegenkandidaten vom rechten Flügel allerdings vermögen zwar die Basis zu begeistern, sind aber national im Grunde unwählbar. Eine rechte Botschaft mehrheitsfähig machen, das kann im Prinzip nur Mitt Romney. Ein Grund dafür, warum er so »hölzern« wirkt, ist, dass er einer anderen Klasse angehört als die Basis. Und es mangelt ihm an der entsprechenden Mittelklasse-Wut, die im deutschen Kontext auch als »rohe Bürgerlichkeit« bezeichnet wird. Nachdem sich die Parteigranden und der rechte Flügel hinter ihn gestellt haben, wird er auf dem Parteitag aber wohl die richtigen Worte finden, um die Parteibasis zu begeistern. Er weiß, dass in den USA Wahlen in erster Linie durch Geld und angesichts der hohen Wahlabstinenz in zweiter Linie durch Mobilisierung gewonnen werden.

Welche Rolle spielt der Marktradikale Paul Ryan als Vizekandidat der Republikaner?
Die Entscheidung Romneys für Ryan sollte helfen, die Tea-Party-nahe Basis zu elektrisieren. Zugleich aber hat Romney seiner Kampagne mit dieser Entscheidung wohl einen Bärendienst erwiesen. Denn Ryan ist die Extra-Munition, die Obama braucht, um wiedergewählt zu werden. Die US-Wahlen 2012 laufen auf einen Wahlkampf der Negativkampagnen hinaus. Dank Ryan kann Obama nun als gemäßigter neoliberaler Austeritätspolitiker vor dem Gespenst des Marktradikalen Ryan warnen, der mit seinem Ansatz sogar die US-Bischofskonferenz gegen sich aufgebracht hat.

Was ist in den USA Ihrer Beobachtung nach zur Zeit sowohl rechts als auch populär?
Historisch zielte die Rechte auf die Rechtfertigung von bestehender sozialer Ungleichheit ab. Als Mittel dienen dazu Ideologien, die Ungleichheit als natürlich darstellen: der Klassismus*, der die »unteren« lohnabhängigen Schichten als »dumm«, »unkultiviert« und »irrational« abwertet, und der Rassismus, der neu Zugewanderte als »gefährlich«, »rückständig« oder »(volks-)schädlich« verfolgt. Wobei dieser Rassismus soziale Probleme ethnisiert und auch im klassischen Einwanderungsland USA als Islamfeindlichkeit daherkommt. Rechte Ungleichheitsideologien florieren in (Wirtschafts-)Krisen, denn dort kommt es zu Verteilungskämpfen zwischen den Klassen. Die soziale Basis der Rechten sind die verunsicherten Mittelklassen. Angesichts des drohenden sozialen Abstiegs grenzen sie sich mit Rassismus und Klassismus nach unten ab. Für die Krise bezahlen sollen die »Minderwertigen«.

...was sich in der Tea-Party-Bewegung äußert.
Deshalb lassen sich Teile der verunsicherten Mittelklassen für Argumentationen gegen staatliche Hilfen für die (schwarzen oder armen weißen) Hausbewohner mit sogenannten Subprime-Hypotheken gewinnen. Sie befürchteten durch die Gesundheitsreform höhere Steuern in Folge der Versicherung der bisher Nichtversicherten. Sie empfinden staatliche Rettungspakete für Autokonzerne und Banken als ungerecht, weil man ihnen als Selbstständigen oder Ladenbesitzern schließlich auch nicht helfe. Hier ist die naive Theorie vom freien Markt, der gute Entscheidungen belohnt und schlechte bestraft, plausibel.

*Der in den USA entstandene Begriff »Classism« bezeichnet die systematische Diskriminierung und Unterdrückung einer gesellschaftlichen Gruppe durch eine andere, basierend auf ökonomischen Unterschieden und dem tatsächlichen, vermuteten oder zugeschriebenen sozial- oder bildungspolitischen Status.

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