Ablenkungsmanöver der Unternehmer

Studie kritisiert Begriff »Ausbildungsreife«

  • Marcus Schwarzbach
  • Lesedauer: 2 Min.
In der Debatte um den Zustand der beruflichen Bildung heißt es von Unternehmerseite immer wieder, vielen Jugendlichen fehle die »Ausbildungsreife«. Eine von der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie widerspricht dem Vorwurf, die Schulen würden junge Menschen nur unzureichend auf das Berufsleben vorbereiten.

Das Berufsbildungsgesetz beschreibt keine formalen Zugangsvoraussetzungen. Gerade die Offenheit des dualen Systems der Berufsbildung aus Lehre im Betrieb und obligatorischem Besuch der Berufsschule sei ein Vorteil, meint die Dortmunder Bildungsforscherin Gertrud Kühnlein. »Insbesondere die Integration Jugendlicher mit niedrigen formalen Bildungsabschlüssen galt bis in die 1990er Jahre hinein als eine Stärke des dualen Ausbildungssystems«, argumentiert Robert Schurgatz. Der Diplom-Pädagoge hat zusammen mit Gertrud Kühnlein und Rolf Dobischat von der Universität Duisburg-Essen die Studie »Ausbildungsreife - Ein umstrittener Begriff beim Übergang Jugendlicher in eine Berufsausbildung« herausgegeben.

Die von Unternehmensverbänden gesteuerte Debatte stelle nur bedingt eine »objektive Auseinandersetzung über das Leistungsvermögen der nachwachsenden Generation dar, vielmehr ist sie mit einer klaren politischen Funktion versehen«, so die Wissenschaftler. Das Schlagwort »Ausbildungsreife« entziehe sich »einer wissenschaftlich fundierten Operationalisierung«, betont Rolf Dobischat. Der Professor für Wirtschaftspädagogik sieht einen »ideologischen Diskurs über individuelle Schuldzuweisungen« gegenüber Auszubildenden und deren Eltern. Selbst wenn am Ende der Schulzeit das Leistungsvermögen vermeintlich unzureichend sei, brauchten junge Menschen eine Chance auf Ausbildung. Denn die meisten würden mit ihren Aufgaben wachsen. Ihr Leistungsvermögen könne erweitert und in der Ausbildung entwickelt werden.

Dies setzt aber voraus, Ausbildungsbeauftragten in den Betrieben auch Zeit zu geben. In vielen Branchen ist es in den letzten Jahren zu einer Neuordnung des Berufsbildes gekommen. Ausbildungsordnungen wurden geändert. Ausbildungsziel ist das Erlernen der beruflichen Handlungsfähigkeit, so das Berufsbildungsgesetz. Denn Auszubildende haben keine Arbeitsleistung zu erbringen - wie Arbeiter und Angestellte -, sondern zu lernen, um das Ausbildungsziel zu erreichen. Die steigenden Anforderungen an die Beschäftigten haben auch Auswirkungen auf die Ausbildung. In der jeweiligen Ausbildungsordnung wird deshalb zunehmend neben der üblichen Vermittlung von Kenntnissen, Fertigkeiten und Erfahrungen berufliche Handlungsfähigkeit als Ziel angestrebt. Dies erfordert eine hohe Qualität der Ausbildung.

Die Realität sieht jedoch oft anders aus: Unternehmer sehen die Ausbildung fast nur noch unter Kostengesichtspunkten. Kosten für die Ausstattung der Ausbildungsabteilungen werden oft zulasten Auszubildender reduziert, die Ausbildertätigkeiten in der Personalplanung kaum eingerechnet.

Rolf Dobischat, Gertrud Kühnlein, Robert Schurgatz: Ausbildungsreife, Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2012, 98 S. Download: www.boeckler.de/pdf/p_arbp_189.pdf

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