Nur Rosi und bis zum Horizont Natur

Zwei Tage Wandern mit einem Esel durch die Uckermark ist wie wochenlanges autogenes Training: Man wird ganz ruhig

  • Heidi Diehl
  • Lesedauer: 6 Min.

Esel können rennen. Sagt man. Davon allerdings scheint Rosi noch nie gehört zu haben. Sie ist stur wie eben ein Esel: Stellt sich auf die Hinterbeine und die Vorderbeine gleich noch dazu. Legt störrisch die Ohren nach hinten und ist weder durch gutes Zureden noch Bestechung, schon gar nicht durch Schieben oder Ziehen zum Weiterlaufen zu bewegen. »Schau doch mal in Rosis Bedienungsanleitung nach«, schlägt Regina leicht entnervt vor. »Ignorieren Sie ihn, ein Esel ist sehr neugierig und anhänglich, nach fünf bis zehn Minuten geht es weiter«, steht da in Regel Nr. 5 zum Umgang mit dem Esel. O.k., ignorieren wir Rosi also und damit gleich noch Regel Nr. 2, die da besagt: »Sprechen Sie viel mit Ihrem Esel, er ist ein guter Zuhörer und freut sich, wenn sich jemand mit ihm abgibt.« Nach 20 Minuten steht Rosi immer noch wie angewurzelt, sollte sie tatsächlich neugierig auf uns sein, dann weiß sie das gut zu verbergen. Anders ist es bei ihrer Neugier auf Beifuß. Sie giert regelrecht nach dem Gänsebratengewürz, und genau das werden wir jetzt schamlos ausnutzen. Regina wedelt mit einem stattlichen Bukett vor ihrem Maul herum, ich schiebe derweil noch mal kräftig von hinten - und plötzlich legt Rosi den ersten Gang ein.

Mit »Stop and Go« schleichen wir durch die Uckermark, nach gut einer Stunde haben wir schon fast einen Kilometer geschafft. Die Sonne steht bereits im Zenit, und noch sechs Mal so lang ist die Strecke bis nach Berkenlatten, wo wir drei »Mädels« die Nacht verbringen wollen. Als Regina das erste Mal laut ihre Zweifel äußert, ob wir es vor Sonnenuntergang wohl bis dahin schaffen werden, gebe ich mich noch ganz optimistisch. Rosi bewegt sich inzwischen im zweiten Gang und läuft ganz passabel neben uns her, während wir ihr (Regel Nr. 2 befolgend) vorschwärmen, wie schön, friedlich und still es hier ist - Natur pur bis zum Horizont. So könnte es weitergehen. Tut es aber nicht! Denn spätestens nach 90 Minuten hat Rosi ihre »gewerkschaftliche« Pause, und zwar für mindestens eine Stunde. Da führt kein Weg dran vorbei. Wir suchen uns also entsprechend Regel Nr. 6 »einen schattigen Baum zum Anbinden des Esels«, nehmen Rosi unser Gepäck vom Rücken und richten uns alle drei auf einer satten Wiese gemütlich ein. Rosi mampft zufrieden vor sich hin, und auch wir machen uns wie ausgehungert über das liebevoll von Katrin van Zwoll gepackte Lunchpaket her.

Katrin ist Rosis und zwölf weiterer Esel Chefin. Vor zehn Jahren zog sie von Berlin in die Uckermark, um Planwagentouren für Touristen anzubieten. Von Eseln hatte sie bis dahin keine Ahnung. Bis eines Tages ein Freund seinen Esel auf ihrem Hof unterstellte, und damit der nicht einsam ist, durfte er mit auf die Pferdekoppel. Dort allerdings stellte Elias nur Blödsinn an. »Ich musste mir was einfallen lassen, um ihn zu beschäftigen«, erzählt Katrin. Im Internet las sie von Eselwandertouren in Frankreich. Das könnte auch in die Uckermark passen, sagte sie sich, und begann, mit Elias zu üben. Gleichzeitig dachte sie sich ein Tourenkonzept aus, das zu Land und Leuten passt. Und das geht so: Die Gäste gehen drei bis sechs Tage mit einem Esel auf eine deutschlandweit einzigartige Wanderung durch die für viele unbekannte Region im Nordosten Brandenburgs. Die Quartiere sind ebenso einfach wie exklusiv. So schlafen die Gäste in einer Buchbinderei, einem alten Gesindehaus, auf einem Demeterhof, in einer Schäferei oder auf einem Straußenhof, Familienanschluss garantiert. Die Gastgeber bekochen die Wanderer mit regionalen Produkten und erzählen ihnen viel von ihrer schönen Heimat und dem, was sie hier tun. Derweil die Esel es sich, gut versorgt, in ihrem eigenen »Ferienhaus« gemütlich machen. Ausgeschlafen geht es nach einem kräftigen Frühstück am nächsten Morgen mit einem gut gefüllten Lunchpaket weiter auf Entdeckungsreise und am Abend zum nächsten »Familientreff«.

Seit 2007 funktioniert das Konzept gut, Elias und seine Kumpel begleiten Naturfreunde gern durch die eiszeitlich geprägte, sanfthügelige Landschaft, durch die man den ganzen Tag laufen kann, ohne auch nur einem Menschen zu begegnen. Die Eseltouren, bei denen man im Schnitt zehn bis 20 Kilometer am Tag zurücklegt, eignen sich gut für Familien, allerdings sollten die Kinder mindestens acht Jahre alt sein.

Apropos Kilometer: Nach einer Stunde Rast wird's Zeit, Rosi zum Weitergehen zu bewegen. Zu unserem Erstaunen läuft sie ganz freiwillig. Nur manchmal bleibt sie abrupt stehen, um sich ein bisschen »Gras to go« zu genehmigen. Möglicherweise will sie aber auch nur testen, ob wir endlich die Regeln begriffen haben. Denn Nr. 1 besagt: »Gehen Sie ruhig und überlegt mit Ihrem Esel um.« Was eigentlich nichts weiter heißt, als: Legt selber die Hektik des Alltags ab, lasst euch ein auf die Natur, nehmt die Schönheit der Landschaft in euch auf, macht's wie Rosi, immer mit der Ruhe. Was leichter gesagt als getan ist, aber wir sind lernfähig.

Nach zwei weiteren Pausen erreichen wir tatsächlich noch vor 18 Uhr den Straußenhof in Berkenlatten, wo wir nicht nur von Hartmut und Andrea Rätz mit offenen Armen empfangen werden, sondern auch von Elfriede der Hofgans. Am Zaun recken Hugo, Noha, Selma, Merle und viele andere Strauße ihre langen Hälse zur Begrüßung. »Hier werdet ihr wohnen«, zeigt der Hausherr auf ein Wiesengrundstück. Rosi bezieht ein hübsches Esel-, wir ein Stelzenhäuschen mit Blick in die gleich daneben liegende Straußenkinderstube. Beim Spaziergang mit Hartmut durchs 16 Hektar große Gelände, auf dem rund 100 der weltweit größten Laufvögel leben, wird schnell klar, dass der Hof so etwas wie ein tierisches Paradies ist. Neben Straußen und Elfriede fühlen sich hier Schafe, Ziegen, Kaninchen, Katzen und Gänse genau so wohl wie ein imposanter germanischer Bärenhund, winzige japanische Seidenhühner oder Brahmas, eine große Hühnerrasse, die schokoladenbraune Eier legt.

Noch lange sitzen wir an diesem Abend auf der kleinen Terrasse unseres Stelzenhäuschens, hören in die Stille der Nacht, die nur ab und an durch das Geschnatter der Gänse unterbrochen wird. Rosi schläft längst, als wir endlich die Kerze löschen.

Zum üppigen Frühstück serviert Andrea Rührei von einem viertel Straußenei. Ein Ganzes wiegt bis zu 2000 Gramm, an dessen Inhalt, der rund 24 Hühnereiern entspricht, man nur gelangt, wenn man die etwa zwei Millimeter dicke Schale mit »schwerem Gerät« bearbeitet.

Nun aber gilt es, keine Zeit mehr zu verlieren, 14 Kilometer liegen bis zum Tagesziel vor uns. Rosi läuft wie aufgezogen, und wir sind inzwischen total entspannt, genießen den Anblick von Hunderten Kranichen auf einer Wiese, das morgendliche Spiel von drei Hasen auf einem Stoppelfeld, beobachten Störche, Rehe und Milane. Die letzten Pausen müssen wir unserer neuen Freundin regelrecht aufzwingen. Je näher wir dem Eselhof kommen, desto nachdrücklicher will sie beweisen, dass Esel doch rennen können. Rosi bringt uns auf Trapp und sicher nach Hause.

Informationen:

Eselwandern: Celine Native Caravan, Suckow 41, 17268 Flieth-Stegelitz, Tel.: (0170) 24 500 55, www.wanderninbrandenburg.de

Straußenhof Berkenlatten, 17268 Gerswalde, OT Berkenlatten 7, Tel: (039887) 5087, www.straussenhof-berkenlatten.de

Infos Uckermark: tmu Tourismus Marketing Uckermark GmbH, Stettiner Str. 19, 17291 Prenzlau,
Tel.: (03984) 83 58 83, www.tourismus-uckermark.de oder

TMB Tourismus Marketing Brandenburg GmbH, Am Neuen Markt 1, 14467 Potsdam, Tel.: (0331) 200 47 47,

Fax: (0331) 298 73 28, www.reiseland-brandenburg.de

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal