Die Glühbirne - kein Nachruf

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 4 Min.

Nein, kein Nachruf. Sie lebt ja noch. Aber die Schlinge, die man ihr um den Sockel legte, zieht sich unaufhörlich zu. Seit heute steht die Glühbirne, vor Jahren zum Tode auf Raten verurteilt, unter strengem Hausarrest. Ihr Verbrechen: Sie spendet zu viel Wärme und zu wenig Licht. EU-weit darf sie sich nicht mehr in Ladenregalen feilbieten. Wächter stehen bereit, um zu verhindern, dass das Verbot unterlaufen wird. Wo die Verfolgte es wagt, sich zu tarnen, wird sie eilends entlarvt. Unter dem Decknamen »Heatball« hat man sie jüngst erst erwischt. Der vermeintliche »Heizball« war eindeutig als Glühbirne zu identifizieren - ein Günter Wallraff unter den Leuchtmitteln.

Das Wohnzimmer als Hospiz der Birne, so will es also das Gesetz. Noch scheint sie ihr Schicksal mit Fassung zu tragen. Aber irgendwann, das ist abzusehen, wird ihr Geduldsfaden reißen. Dann wird es dunkel.

Und dann wird es wieder hell. Denn alles ist ersetzbar, liebe Liebhaber der verfemten Lichtquelle, auch die Glühbirne. Warum es einer Direktive aus Brüssel bedarf, um Energiesparlampen, Halogen- und LED-Leuchten den Weg zu bahnen, ist trotzdem eine berechtigte Frage. Denn abgesehen von denen, die sie verkaufen wollen, mag diese Dinger bekanntlich niemand: zu giftig, zu kalt, zu teuer. Elektro-Kartell! Öko-Mafia! Lobby-Parlament! - die Verschwörungstheorien rund um das Glühbirnen-Verbot sind dank Leuten wie dem Publizisten Helmut Höge, dem Medienhistoriker Markus Krajewski oder dem Filmemacher Christoph Mayr (»Bulb Fiction - Ist das Ende der Glühbirne das Ende der Demokratie?«) weithin bekannt - und derart plausibel, dass man sich fragt, warum es niemandem gelingt, der hell ausgeleuchteten Verschwörungspraxis Einhalt zu gebieten.

Helmut Höge, ein passionierter Spurensammler in den Abfallhaufen des Alltags, hat im Laufe von drei Jahrzehnten eine wahre Kulturgeschichte der Glühbirne zusammengetragen, die er als »Symbol für Aufklärung, Fortschritt und Erfindungsgeist« bezeichnet. Bei seinen Recherchen traf er 1986, zwei Jahre vor dessen Tod, auch auf den Dichter Erich Fried. Als 16-Jähriger hatte der, ein voranpreschender Geist nicht nur in der Kunst, in seiner Heimatstadt Wien für eine dort ansässige kleine Glühbirnenfabrik eine sockelfeste Birne entwickelt. Fried im Gespräch mit Höge (ein Musterbeispiel kauziger, fachsimpelnder, aber ungeheuer erhellender Kommunikation zweier Besessener): »Meine Erfindung bestand aus nichts anderem, als dass ich vorschlug: Ätzt doch den Teller von außen rau! Damit nämlich der Sockelkitt besser haftet, und probiert mal aus, ob das nicht schon langt.« Es langte.

Fried meldete ein Patent an auf seine Erfindung an, das erste auf diesem Gebiet, das nicht vom »Glühbirnenkartell« gehalten wurde. Aber: »Als die Nazis kamen, wurde der Besitzer der Orbis-Glühbirnenfabrik sofort verhaftet. Man ließ ihn erst wieder frei, nachdem er seine Firma für einen Pappenstiel an das Kartell verkauft hatte. So gut klappte die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Politik.« Fried selbst bekam Besuch von einem Osram-Chefingenieur mit Parteiabzeichen: »Junger Mann, wenn Sie schon so intelligent sind, so etwas zu erfinden, wieso sind sie dann nicht intelligent genug zu wissen, wo man das anbieten muss? Wir hätten das schon allein deswegen aufgekauft, damit es uns Ärger erspart.« Darauf Fried: »Grad deswegen habe ich es ihnen nicht angeboten.« Das Kartell ärgern - einen großen Gegenspieler gab es, dem Fried das zugetraut hätte, aber ach: »Das Komische ist, und daran haben damals der Ingenieur bei Orbis und ich immer geglaubt, dass die Sowjetunion da Abhilfe schaffen wird und alle Erfindungen, die in der bürgerlichen Welt nicht hergestellt werden, weil sie den Leuten das Geschäft vermasseln, realisieren wird. Nichts davon geschah.«

In Erich Frieds Gedichten kommt die Glühbirne, so weit wir sehen, nicht vor. Zu literarischem Leben aber erwacht ist sie zum Beispiel in Gestalt von Günter Herburgers warmherzig eigensinnigem Kinderbuch-Helden »Birne«. Und, ganz wichtig für die kritische Glühbirnen-Forschung: als »Byron, the bulb« in Thomas Pynchons Roman »Die Enden der Parabel« (1973). Byron, eine niemals erlöschende Glühlampe, leistet hier Widerstand gegen einen geheimen Zusammenschluss internationaler Konzerne, der sich das Ziel gesetzt hat, die Leuchtdauer der Glühbirnen auf 1000 Stunden zu begrenzen. Fiktion? Ja, aber keine krude Fantasie. Das Phoebus-Kartell und seine Absprachen existierten seit 1924 nachweislich. Und Byron hat sein reales Vorbild in einer Leuchte, die seit 1901 in einer New Yorker Feuerwache brennt. Bis heute, wie man hört.

Kein Nachruf also, aber doch ein Abschied. Hoffen wir, dass nachfolgende Lichtbringer das fortsetzen, was Erich Bloch der Glühbirne 1935 zuschrieb: Sie habe »die Anfechtungen des Nachtgrauens weit gründlicher geheilt als etwa Voltaire; denn sie hat das Grauen aus den Schlupfwinkeln der äußeren Dunkelheit selbst vertrieben und nicht nur aus der des Kopfes.« Zeichnung: bambus

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