Handel und Wandel

Merkel, Liao Yiwu

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 2 Min.

Bundeskanzlerin Merkel hat in Peking die uralte Verbotene Stadt besucht. Nichts wirklich Verbotenes mehr, natürlich nicht. Wirklich Verbotenes versucht ein hoher Staatsgast selbstredend kaum, etwa: Ai Weiwei einen Besuch abzustatten. Wenn Obrigkeiten einander begegnen, ist das Handel, aber in Sachen politischer Deutlichkeit kein Wandel.

Über die Verhaltensweise des Westens gegenüber Dissidenten schrieb der Maler Norbert Bisky vor Monaten in der FAZ: »Marktwirtschaft plus Meinungsfreiheit klingt nach einem perfekten System. Schaffen, kaufen, Schnauze halten. Auch hier in Europa findet das mancher richtig prickelnd.« Im Blick auf den Herbst 1989 in der DDR schreibt er, auch »Druck von außen hatte dazu geführt, dass ich pünktlich zum neunzehnten Geburtstag ein selbstbestimmtes Leben beginnen und Künstler werden konnte.« Wer nicht in Sachzwänge, Umsatztabellen und Quartalsberichte eingepfercht sei, so Bisky, »hat die Pflicht, seine Stimme zu nutzen. Und auch, wer in China Geschäfte macht, sollte wissen, um welchen Preis er das tut.«

Selbstbestimmtes Leben. Das Thema der Literatur, immer nur dieses eine, und nie ein anderes. Merkel fuhr nach China - aus China kommt der Eröffnungsredner des Internationalen Literaturfestivals Berlin, das am kommenden Dienstag beginnt: Exil-Schriftsteller Liao Yiwu. Er lebt seit Monaten in Deutschland. Ein Poet aus der Provinz Sezuan: dem Dreck vor die Füße geworfen, der Folter aufs Streckbett gespannt, dem Blut in den Fluss geworfen, dem Machtsystem zwischen die Zähne gesteckt, der Härte ausgesetzt. Ein chinesisches Häftlingsschicksal.

Ein Gedicht über das Massaker 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens eröffnete seinen langen Leidensweg. »Ich bin glücklich, ein derart bösartiges Land verlassen zu haben«, sagte er soeben der »Süddeutschen Zeitung«. Mitte Oktober erhält er auf der Frankfurter Buchmessen den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. »Das chinesische Außenministerium hat Deutschland dafür kritisiert, einem Schwerverbrecher wie mir den Friedenspreis verliehen zu haben.«

Der »Schwerverbrecher« - noch immer, wie er sagt, gequält von Albträumen - eröffnet ein Literaturfestival in Deutschland, das mehr und mehr übereuropäische Präsenz offenbart. Man darf das Adel nennen. Befriedigung eines Gefühls, das Menschen zum Festival zieht: Man hat ein Gefühl für Unrecht, man hat ein Gesicht vor Augen, und man will sich in diesem Gefühl von nichts relativieren lassen. Das ist Teil der Freiheit, die Merkel nicht exportieren kann, aber vertritt. Und die Liao Yiwu nutzen möge, so lange er will.

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