Orwell war ein Optimist

Internet und Menschenrechte in der Außenpolitik

Das Außenministerium veranstaltete eine zweitägige Konferenz mit rund 100 ausgewählten Teilnehmern, darunter auch Vertreter in- und ausländischer Menschenrechtsorganisationen. Außenminister Westerwelle betont die Schlüsselfunktion neuer Technologien für Menschenrechte.
„Soziale Netzwerke, Blogs, Facebook-Revolutionen: Die virtuelle Welt des Web 2.0 verändert die politische Kultur - und die Rahmenbedingungen der Außenpolitik“, ist auf der Webseite des Auswärtigen Amts zu lesen. Das Internet sei heute in vielen Ländern ein wichtiges Medium für Meinungsfreiheit, heißt es dort weiter. Aber was bedeutet diese Entwicklung für den Schutz der Menschenrechte? Sollte der freie Zugang zum Internet als eigenes Menschenrecht festgeschrieben werden? Wie kann das Internet bei der Umsetzung von Menschenrechten eingesetzt werden? Gelten die Menschenrechte auch im Internet und wie lassen sich diese dort durchsetzen?

Diplomaten und Regierungspolitiker sowie Vertreter aus Wirtschaft und Wissenschaft diskutierten diese und ähnliche Fragen mit NGO-Vertretern und Menschenrechtsaktivisten weitestgehend unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Zensur, Überwachung und Urheberrecht gehörten ebenso zu den Themen, wie die Frage, inwieweit der Staat die Regulierung des Internet übernehmen soll oder es der Privatwirtschaft überlassen soll. Das Emanzipationspotential neuer Technologien für demokratische Bewegungen wurde ebenfalls thematisiert. Schon in der Eröffnungsdiskussion nahm Arvind Ganesan von der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch die Internet-Wirtschaft in die Pflicht, denn diese tue so gut wie nichts, um Menschenrechte zu schützen, aber viel, um diese einzuschränken oder zu umgehen. Jan Kleijssen, vom nicht mit der Europäischen Union verbundenen Europarat ergänzte: „Zugang zum Internet ist die Voraussetzung für Menschenrechte“.

Auf die Frage, wie denn konkrete Schritte aussähen und welche praktischen Maßnahmen ergriffen würden, nannte die Vertreterin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), Dunja Mijatovic drei Punkte: Die Anwesenheit bei Gerichtsprozessen gegen Blogger und Internet-Aktivisten, diese auch nach Verurteilungen in Gefängnissen zu besuchen und vor allem Öffentlichkeit herzustellen, denn: „Keine Regierung mag es, an den Pranger gestellt zu werden.“

Das Tor-Projekt ist ein Netzwerk zur Anonymisierung und Verschlüsselung von Datenströmen im Internet. Dadurch soll die Überwachung der Internet-Kommunikation verhindert werden. Karen Reilly, Vertreterin des Projekts meinte: „Orwell war ein Optimist.“ Denn es gäbe zwar in vielen Ländern Gesetze gegen Überwachung und Zensur, aber was wenn diese nicht eingehalten würden. Darum plädierte sie für neue Technologien, die sich nicht blauäugig auf die Einhaltung von Gesetzen verlassen.

Matthias Spielkamp von der Organisation"Reporter ohne Grenzen" sagte im nd-Gespräch zum Kontakt mit dem Außenministerium: "Wir werden gehört, aber wenn am Ende keine Resultate kommen fühlen wir uns nicht unterstützt". Die Organisation fordert von der Bundesregierung Exportkontrollen für Überwachungstechnologien, um zu verhindern, dass diese an autoritäre Regime geliefert werden und stärkeren Einsatz für Presse- und Informationsfreiheit. Als Beispiel nannte er die Überwachungssoftware FinFisher der englischen Firma GammaGroup, die in Deutschland programmiert wurde. Reporter ohne Grenzen überreichte der Bundesregierung einen entsprechenden Forderungskatalog.

Wenzel Michalski, Vertreter für Deutschland bei Human Rights Watch - die Menschenrechtsorganisation ist Mitveranstalter der Konferenz - äußerte sich gegenüber dem nd zu der Veranstaltung: "Wir haben diese Veranstaltung mitorganisiert, weil wir hier an einem Platz unsere Ansprechpartner aus der Politik haben und unsere Botschaft direkt an Diplomaten weitergeben können." Er kritisierte: "Die Bundesregierung ist immer dann menschenrechtsfreundlich, wenn es keine wirtschaftlichen oder strategischen Interessen gibt. Ansonsten sieht man gerne über Menschenrechtsverletzungen hinweg, wie etwa in Äthiopien und Usbekistan." Im Denken der Diplomaten müssten Menschenrechte Bestandteil der Realpolitik sein. Die Bundesregierung sollte sich stärker und lauter für Menschenrechte einsetzen und diese auch im Internet als Verpflichtung zu mehr Aktivität begreifen.

Die Staatssekretärin des Justizministeriums, Birgit Grundmann, hob die Rolle von Anonymität im Internet hervor. Der Artikel 19 der Menschenrechtsdeklaration erfordere keine Namensnennung bei Meinungsäußerungen. Menschen hätten gute Gründe, ihre Identität nicht offen zulegen. Anonymität abschaffen, bedeute Minderheitsmeinungen zu unterdrücken.

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