Freispruch für Kritiker von Schünemann

Prozess wegen der Tumulte beim Minister-Auftritt

  • Reimar Paul
  • Lesedauer: 2 Min.

Der erste Strafprozess wegen der Tumulte beim Auftritt von Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU) im Januar an der Universität Göttingen endete gestern nach wenigen Stunden mit einem Freispruch für den Angeklagten. Tawlik L., so hatte es die Staatsanwaltschaft zunächst gesehen, soll während eines Gerangels einen Polizisten in den Genitalbereich getreten haben - Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung. Zum Prozess kam es, weil der 25-Jährige Widerspruch gegen einen Strafbefehl über 750 Euro eingelegt hatte.

Zu Beginn der Verhandlung hatten die Polizei und Verteidigerin Marlene Jendral weiteres Videomaterial beigebracht. Ein Tritt von L. gegen den Beamten war darauf nicht zu erkennen. Die Aufnahmen zeigten lediglich, dass der Beschuldigte und der Beamte im Gedränge dicht nebeneinanderstanden. Die Staatsanwaltschaft sah das ebenso - und plädierte auf Freispruch. Das Gericht schloss sich an.

Aus Sicht des Göttinger Allgemeinen Studierenden-Ausschusses (ASTA) ist der gestrige Prozessausgang »als Zeichen dafür zu werten, wie ungerechtfertigt das gesamte Verfahren von vornherein war«. Der Polizei sei es nicht gelungen, »den massiven und gewalttätigen Polizeieinsatz nachträglich durch eine Verurteilung zu rechtfertigen.« Die Grüne Jugend Göttingen erklärte, der Protest gegen Schünemann »und Konsorten« sei »notwendig und legitim«.

Schünemann und der Göttinger Polizeichef Robert Kruse hatten am 10. Januar auf Einladung des CDU-nahen Ringes Christlich-Demokratischer Studenten (RCDS) während des Wahlkampfes für das Studierendenparlament an der Uni über Sicherheitspolitik referiert. Rund 500 Menschen protestierten gegen den Auftritt in einem Hörsaal, in den RCDS-Ordner nach Gesichts- und Taschenkontrolle nur ihnen genehme Zuhörer einließen. Die Demonstranten im Foyer zeigten Transparente gegen Abschiebungen, verteilten Flugblätter und stimmten Sprechchöre gegen den Minister an. Eine Gruppe von etwa 150 Demonstranten versammelte sich vor den Eingängen des Hörsaals. Als Polizisten die friedliche Versammlung gewaltsam auflösten, kam es zu heftigen Rangeleien. Ein Video des NDR dokumentiert, wie Beamte der in Göttingen stationierten Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) in die Menge stürmten und Demonstranten mit Schlägen und Tritten traktierten. Etliche Personen - darunter nach Polizeiangaben auch sechs Beamte - wurden verletzt. Bei der Abfahrt Schünemanns ging die Polizei erneut gegen Protestierende vor, die sich vor das Ministerfahrzeug gesetzt hatten. Aus der Menge flog ein Stein gegen das Auto. Gegen mehrere Demonstranten wurden Strafverfahren eingeleitet. Neun Studenten zeigten ihrerseits Polizeibeamte wegen Körperverletzung an.

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