Aufklärungsversuch unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Bayerischer NSU-Untersuchungsausschuss will ehemaligen Chef und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes vorladen

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) hat auch in Bayern eine Blutspur hinterlassen. Ein Untersuchungsausschuss des Landtags will Licht ins Dunkle bringen.
In einer weitgehend nichtöffentlichen Sitzung hat der bayerische Untersuchungsausschuss zu den Morden des NSU gestern seine Arbeit nach der parlamentarischen Sommerpause aufgenommen und vor allem Verfahrensfragen behandelt. In großen Teilen unter Ausschluss der Öffentlichkeit wird es wohl weitergehen. Denn das Gremium verzichtet aus Zeitgründen, so Ausschussvorsitzender Franz Schindler (SPD), auf das Verlesen von Akten. Deren Inhalt wird dann nur über Fragen der Abgeordneten publik werden. Und auch die Aussagen von Zeugen aus den Reihen des bayerischen Verfassungsschutzes werden – je nach Vorgabe der Behörde – wohl nichtöffentlich stattfinden.

Die Befragung des Verfassungsschutzes steht auch in den nächsten beiden Sitzungen am 9. und 16. Oktober im Mittelpunkt. Aussagen soll dabei Gerhard Forster, Präsident des Geheimdienstes von 1994 bis 2001, außerdem »operativ Tätige«, die vor Ort Informationen sammelten, sowie Mitarbeiter der Staatsschutzpolizei. Das Gremium will von Verfassungsschutz und Innenministerium sämtliche Akten über Zusammenkünfte von Neonazis in Bayern, das NSU-Trio Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe, ein Neonazi-Treffen in Straubing, die »Kameradschaft Süd« sowie über die Geheimdienst-Operation »Rennsteig« anfordern, bei der es um die Anwerbung von V-Männern in der rechten Szene ging. Angefordert werden sollen ebenfalls sämtliche Protokolle des parlamentarischen Kontrollgremiums, das die Tätigkeiten des Landesamtes für Verfassungsschutz überwacht.
Auch die bayerischen Kasernen sind im Fokus der Abgeordneten. Sie wollen von den Behörden alle Unterlagen, die Auskunft über rechtsextremistische Vorgänge in der Bundeswehr geben können. Akten sollen dafür vom Kanzleramt und dem Verteidigungsministerium angefordert werden.

Nicht einigen konnten sich Mitglieder des Ausschusses, in dem Vertreter der Regierungsparteien CSU und FDP sowie der Opposition aus SPD, Grünen und Freien Wählern sitzen, über die Bestellung von Experten in Sachen Rechtsextremismus in Bayern. Diese sollen aber bis spätestens Weihnachten vorgeladen werden. Susanna Tausendfreund (Grüne) reklamierte, es wäre sinnvoller gewesen, erst den Sachverstand zu hören und dann die Fakten.

Der »Ausschuss Rechtsterrorismus Bayern – NSU« wurde am 4. Juli 2012 auf Antrag der Opposition im bayerischen Landtag eingesetzt und hat sich vor dem Sommer in zwei Sitzungen mit Verfahrensfragen beschäftigt. »Da fünf der Mordanschläge in Bayern verübt worden sind, gebietet es der Respekt vor den Opfern und ihren Angehörigen, auch in Bayern einen Untersuchungsausschuss einzusetzen, zumal auch Vorwürfe gegenüber bayerischen Sicherheits- und Justizbehörden erhoben werden und die bisherigen Antworten der Staatsregierung auf entsprechende Anfragen nicht erschöpfend waren«, so die Begründung des Antrages. Dabei sei auch zu überprüfen, »welchen Umgang die Ermittler mit den Angehörigen der Opfer an den Tag gelegt haben, der zum Teil dazu geführt haben soll, sie als Teil eines kriminellen Systems zu stigmatisieren«.

Außerdem solle sich der Untersuchungsausschuss ein Gesamtbild verschaffen über rechtsextremistische Strukturen und Aktivitäten in Bayern seit 1994, die Einschätzung der Gefahren des Rechtsextremismus und die Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung. Der Ausschuss will Klärung über das Geschehen seit dem Untertauchen der mutmaßlichen Täter im Januar 1998, insbesondere über Erkenntnisse bayerischer Sicherheitsbehörden zu ihrem Aufenthalt und darüber, ob sie mit Personen aus Bayern Kontakt hatten. Das Bezugsjahr 1994 wurde gewählt, weil in diesem Jahr erstmals Kontakte eines der mutmaßlichen Mittäter nach Bayern nachgewiesen sind.

Noch am 9. September 2010 hatte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) bei der Enthüllung einer Plakette für die während des Hitler-Putsches 1923 getöteten vier Polizisten gesagt: »Unsere breit angelegten Maßnahmen greifen sehr gut. Bayern zählt zu den Bundesländern, die am geringsten mit rechtsextremistischer Gewalt belastet sind.« Fast genau ein Jahr später wurde das ganze Ausmaß der NSU-Morde und damit die Ahnungslosigkeit des Innenministers deutlich.
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