»Aufschlag« Bouffier

Hessens Landeschef vor Nazi-Terror-Untersuchungsausschuss

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Hessens Ministerpräsident strotzte gestern vor dem NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages nur so vor Selbstbewusstsein. Bouffier, der »Matchwinner«? Offenbar. Verloren hat der Rechtsstaat.

Die Mordtaten des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) seien »ungeheuerlich« und sein »besonderes Mitgefühl« gelte den Angehörigen der Toten. Das war die erste Vorbemerkung, die Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) gestern im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages zu Protokoll gab. Die zweite lautete: Was der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) am 3. Juli 2012 im Frühstücksfernsehen gesagt habe, sei »bewusst ehrenrührig« gewesen.

Dann kam das Übliche, von wegen, er verwahre sich ... Worum geht es? Edathy hatte in der ARD von »Verhinderung von Strafverfolgung im Amt« gesprochen. Das ist kein Straftatbestand wie »Strafvereitlung im Amt«, sollte aber so ähnlich klingen. Nun retournierte Hessens erster Mann.

Besser als Bouffier auf die Befragung kann sich kein Tennisprofi auf das Match vorbereiten. Schon der erste Aufschlag war ein Ass. Der Zeuge lockte seinen Befrager ans Netz und der brachte kaum noch einen Ball rüber.

Stopp! Das Beispiel aus dem Sport liegt zwar nahe, doch hier geht es um Mord. Am 4. April 2006 wurde in Kassel der Besitzer eines Internetcafés hingerichtet. Halit Yozgat starb als neuntes Opfer des NSU. Der Fall schlug Wellen, weil zum Tatzeitpunkt ein Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes in dem Café privat gechattet hat. Besagter V-Mann-Führer Andreas Temme war lange Zeit der Tat dringend verdächtig. Polizei und Staatsanwaltschaft wollten nicht nur ihn, sondern auch seine Quellen vernehmen. Der Geheimdienst blockte, argumentierte zum Teil mit widerlichen Worten, verhinderte, dass V-Leute »verbrannt« wurden und die Sicherheit des Landes in Gefahr geriet.

Der Fall war heikel für Bouffier, denn der heutige Ministerpräsident stand damals dem hessischen Innenressort, also der Polizei wie dem Verfassungsschutz vor. Er entschied pro Verfassungsschutz und begründete das gestern in einer einstündigen Erklärung. Er steht zu der Entscheidung und behauptete, die Ermittlungen zu keinem Zeitpunkt behindert zu haben.

Es kam viel Widersprüchliches zur Sprache, die Zitate aus Dokumenten besagten mal dies, mal jenes, die Staatsanwaltschaft erschien weithin dienernd statt fordernd, Bouffier stellte V-Leute auf eine Stufe mit Beamten, die ohne Aussagegenehmigung ihrer vorgesetzten Behörde nicht befragt werden dürfen. Doch auch nachdem Landesverfassungsschutz, Innenministerium, Polizei und Staatsanwaltschaft sich - via Bouffier - »geeinigt« hatten, dass der Verfassungsschutz seine Quellen nach Vorgaben der Ermittler selbst befragt, dauerte es noch bis zum Januar 2007, bis die Ergebnisse der Befragungen zur Staatsanwaltschaft gelangten. Da hatte man Temme schon einen Persilschein ausgestellt und ihn versetzt.

Geht Quellenschutz wirklich vor Mordaufklärung? Wenn - wie Bouffier behauptet - alles rechtens verlief, muss man fragen, ob die entsprechenden Gesetze nicht verändert werden müssen. Und zwar bundesweit. Zumindest diese Überlegung können die Ausschussmitglieder aus der wenig ergiebigen Befragung Bouffiers mitnehmen. Schließlich sollen sie ja Vorschläge erarbeiten, damit der NSU-Terror in jeder Hinsicht ein einmaliger Skandal bleibt.

Auf der Zuschauertribüne waren auch bei der gestrigen 32. Ausschusssitzung viele Zuhörer aus der türkischen Gemeinde. Einer mit diplomatischem Rang fragte gestern fast resignierend: Glaubt jemand, dass hier wirklich noch etwas herauskommt?!

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