Bringt Trainerwechsel die Wende?

LEICHTATHLETIK: Ein Weltmeister mit viel Kummer / Hammerwerfer Karsten Kobs trennte sich von seinem Coach Bernhard Riedel

Als der Hammerwerfer Karsten Kobs vor zwei Jahren in Sevilla mit einem 80,24-m-Wurf Weltmeister wurde, war der Dortmunder sozusagen wie Phönix aus der Asche aufgestiegen. Der Dortmunder trat damit das Erbe des damals 36-jährigen Leverkusener Titelverteidigers Heinz Weis an, der sich die ganze Saison über mit Verletzungen herumgeplagt hatte und in der Qualifikation mit 74,71 m als 18. ausgeschieden war. Der heute knapp 30-jährige Kobs hatte spätestens seit den Junioren-WM 1990, wo er Vierter wurde, als hoffnungsvolles Nachwuchstalent gegolten, ohne das mit Medaillengewinnen auch belegen zu können. Erst 1998 bei den EM in Budapest rückte er mit dem Bronzemedaillengewinn international in den Blickpunkt. Und ein Jahr später wurde er überraschend Weltmeister. Doch Olympia 2000 in Sydney geriet wieder zum Desaster - 72,29 m in der Qualifikation, was das Ausscheiden für das Kraftpaket (1,96 m groß, 118 kg schwer) bedeutete. Nun scheint Karsten Kobs vermutlich wieder vor einem Scherbenhaufen zu stehe. »Es ist bisher meine schlechteste Saison«, sagt er, »es läuft alles schief. Keine Weite stimmt so richtig.« Eine zeitlang hatte der vierfache deutsche Meister sogar erwogen, gar nicht erst zu den am 3. August beginnenden Weltmeisterschaften nach Edmonton zu fahren. »Ich will da nicht als DLV-Tourist hin und schon in der Qualifikation ausscheiden. So viel Ehre muss ich als Titelverteidiger im Leib haben. Ich habe Verantwortung auch gegenüber meinem Verein. Aber ich will mich auch nicht drücken oder verstecken.« Doch im Augenblick sieht es nicht sonderlich positiv für Karsten Kobs aus. »Wenigstens der Spaß ist in den letzten Wochen wieder zurückgekehrt«, ulkt er und meint damit: »Ich habe zuletzt im Training an die 150 Hammerwürfe absolviert. Die meisten Weiten lagen zwischen 77 und 78 Meter. Das ist wenigstens eine Grundlage und stimmte mich ein bisschen optimistischer. Aber im Wettkampf läuft nichts, gar nichts.« Inzwischen hat er sich in seiner ratlosen Situation zu einer Radikalkur entschlossen und sich von seinem langjährigen Trainer, dem Ex-Chemnitzer Bernhard Riedel, getrennt und ist zu seinem früheren Heimtrainer und Ex-Hammerwerfer August Ruttloh zurückgekehrt. Eine nicht ganz »geräuschlose Trennung«, wie erzählt wird. »Ich will das öffentlich nicht weiter kommentieren«, hält sich Kobs bewusst bedeckt, wohl wissend, dass er dem Bundestrainer Riedel Einiges zu verdanken hat. Ob der (vor)eilige Trainerwechsel die Wende bringt, ist offen. »Mal sehen«, sagt Kobs kurz und bündig und ist weiterhin ziemlich verunsichert: »Ich habe in diesem Jahr genauso trainiert wie 1999, als ich Weltmeister wurde. Aber immer wenn es drauf ankommt, bin ich irgendwie im Kopf blockiert und komme mir sogar wie ein Anfänger vor.« Letzten Montag ist er mit dem ersten DLV-Tross nach Kanada ins Trainingslager aufgebrochen. Mit noch mehr Unbehagen: Denn seit Tage plagt er sich mit einer schmerzhaften Fingerverletzung herum, was in der vorigen Woche beim Lausitzer Meeting auch zur Folge hatte, dass er nur einen Wurf (71,61 m) absolvieren konnte und als Fünfter fast zehn Meter hinter dem Sieger zurücklag. »Die Verletzung wirkt wie Salz in einer Wunde«, klagt er. »Im Augenblick lasse ich auf Grund der Schmerzen den Hammer schon nach zwei statt nach drei Drehungen raus. Da fehlen natürlich etliche Meter.« Mit dem Blick auf die WM in Edmonton gibt er sich zwar kämpferisch, aber auch völlig realistisch: »Ich bin kein Feigling und werde antreten. Natürlich ist an eine Titelverteidigung gegenwärtig überhaupt nicht zu denken«, sagt Kobs und schränkt seinen WM-Start dahingehend ein: »Ich muss am Morgen beim Einwerfen das Gefühl haben, dass es einigermaßen geht. Ich muss eine Chance sehen, dass ich aus dem Loch herauskomme. Dafür will ich kämpfen. Ansonsten packe ich meine Sache und verzichte.« Als ob er die Frage ahnt, fügt er selbst hinzu: »Ich weiss, das wäre fast ein Schlag gegen die Familien- Ehre.« Denn Vater Reiner Kobs - in diesen Tagen 61-jährig geworden - war ein exzellenter Hammerwerfer; Großvater Rudolf Kobs - vor 13 Jahren im Alter von 84 verstorben - war ein bekannter Zehnkämpfer und Turner und in den 20er Jahren zwei Mal deutscher Turnfestsieger; seine Tante Edith Kobs - heute 68 Jahre alt - war eine begabte Leichtathletik-Fünfkämpferin; und sein Cousin Martin Kallenbach (36 Jahre) war deutscher Junioren-Vizemeister im Weitsprung mit 7,68 m. Ein weitreichende sportliche Familien-Tradition, die auf den amtierenden Hammerwurf-Weltmeister Karsten Kobs lastet und die, wenn nicht noch ein »kanadisches Wunder« passiert, in Edmonton vorerst keine weitere Fortsetzung finden wird. Aber dann vielleicht nächstes Jahr bei den EM in München...
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