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Von KURT MERKEL

  • Lesedauer: 5 Min.

mich von mehr kriegerischem Getümmel umgeben als im Irak. Hubschrauber kreisten über mir, die Sirenen der Kolonnen von Polizeifahrzeugen gellten in meinen Ohren, im Fernsehen sah ich die Räumung der Mainzer Straße. Sicher ist es der Frische meiner nahöstlichen Impressionen zu schulden, daß ich Parallelen zwischen den Ereignissen hier und da zu sehen meinte. Vor allem die in beiden Fällen enorm entwickelte Unfähigkeit zum Dialog. Jeweils zwei Welten mit eigenem Wertesystem, in dem der Gegner keinen Platz hat, stehen sich gegenüber. Der Schwächere begnügt sich mit der Forderung, in seinem Sein und Handeln anerkannt zu werden. Der Stärkere kennt solche Zurückhaltung nicht. Er will nichts weniger als die umfassende Durchsetzungseines Wertesystems und seiner Ordnung. Er fühlt sich allein schon von der f ortt dauernden Existenz von Sy-' stemen außer sich bedroht. Er nimmt sich das Recht,'den andern in seine Ordnung zu zwingen. Er tut so, als gäbe es eine allgemeine Verständigung darüber, was rechtens ist: Der Überfall eines Staates auf einen anderen ist eine Aggression, die zurückzuweisen auch von Dritten Gewalt angewendet werden darf. Eben diese Verständigung aber gibt es praktisch nicht. Was sonst müßte geschehen in Panama, Grenada, im Baltikum, in Palästina?

Ich rede nicht der Anerkennung der Okkupation Kuweits durch den Irak das Wort. Überhaupt nicht! Aber Vorstellungen, den Konflikt anders als durch Dialog zu lösen, führen ans Ende des Denkbaren. Miteinander sprechen aber verlangt, Interessen zu berücksichtigen und Probleme im Auge zu haben, die mit einer Aggression nicht gelöst werden können. Es gibt in der arabischen Welt ein starkes Gefühl der Zusammengehörigkeit oder sogar der Existenz in einer Einheit, das nicht mehr wie in Zeiten Nassers oder der Blüte der Baath vom arabischen Nationalismus, sondern vom islamischen Fundamentalismus getragen wird. Und aus dieser Sicht leidet man nicht nur – wie der ganze Süden – an Unterentwicklung und Ausbeutung durch den Norden, sondern außerdem an der ungleichen Verteilung der Güter und der Lasten, des Öls und des daraus entstandenen Kapitals, des Wassers, der produktiven und der zu ernährenden Bevölkerung in der eigenen Region.

Sprechen wir nur vom Öl. Für ein Land wie den Irak ist der Ölreichtum die Grundlage der gesamten Volkswirtschaft. Sie blüht oder verfällt in Abhängigkeit nicht nur vom Grad der Weisheit der Staatsführer,' sondern auch von der Höhe des Ölpreises auf den Verbrauchermärkten des Nordens. Das sieht in Kuweit ganz anders aus. Die riesigen Einnahmen konnten dort immer nur zu einem winzigen Teil in die eigene Volkswirtschaft eingebracht werden. Der eigentliche aus dem Ölverkauf entstandene Reichtum verblieb als Kapitalanlage vor allem in den USA und in Westeuropa. Was zur Absicherung der ei-

Kredit an andere arabische Länder floß, war unbedeutend, bezogen auf die Gesamtmenge des kuweitischen Kapitals.

In Bagdad hörte ich von arabischen Diplomaten, daß Kuweiter, die nach dem Überfall im Irak „hängengeblieben“ waren und sich da frei bewegen konnten, eben dies als Ansatz zum Nachdenken über eine neue Politik nahmen. Denn das Konzept – volle Sicherheit gegen mäßig viel Geld – war nicht aufgegangen. Die Linie, mit den Verbrauchern eine deren Interessen vor allem berücksichtigende Öl- und Ölpreispolitik abzustimmen, hatte Kuweit in der arabischen Welt weitgehend isoliert. Es stand, in den Augen der Araber, „auf der anderen Seite“. Eben das konnte Saddam Hussein zur Begründung seines Vorgehens verwenden. Zweifellos war er nicht von der Sorge um das Wohl des arabischen Volkes getrieben, sondern vom Streben nach Stärkung und Erweiterung seiner diktatorisch ausgeübten Macht und seines Einflusses auf die Region, auf die arabische und islamische Welt, auf die Ölpolitik. Doch verkleinert das nicht das Interesse an einer Neuregelung der internationalen wie auch der innerarabischen Beziehungen.

Im Moment, da ich das schreibe, wird das Kriegszenarium noch immer weiter entwickelt, obwohl aus Untersuchungen hervorgeht, daß die Folgen eines Golf krieges für die Umwelt und die Gesundheit der Menschen weltweit kaum absehbar sind. Selbst wenn keine Massenvernichtungswaffen eingesetzt werden sollten, drängen sich Parallelen zum Abwurf der ersten Atombomben auf. Hiroshima und Nagasaki waren nicht unwesentlich an der Bestimmung der Atmosphäre beteiligt, in der der Ost-West-Konflikt sich über Jahrzehnte entwickelte. Sollte es ein Interesse geben, mit einer neuerlichen Machtdemonstration, diesmal nicht im Fernen, sondern im Nahen Osten zu zeigen, wie man sich, nachdem die Ost-West-Auseinandersetzung ihre Bedeutung verloren hat, die Behandlung der auf uns zukommenden Konfrontationen vorstellt? Soll ein Zeichen gesetzt werden? Sollen Mainzer Straße und militärischer Schlag auf Bagdad Modelle für den Umgang miteinander werden?

Ich setze weiter auf die Dialogmöglichkeit. So, wie es Altbundeskanzler Brandt und anderen gelungen war, ein Teilproblem des Golfkonflikts – die Geiselfrage – weitgehend zu lösen, indem sie Saddam, an dessen Interessen anknüpfend, klarmachten, daß er seine Akzeptanz als Verhandlungspartner aufbauen müsse, ist auch noch jetzt ein Feld für das Finden von Übergangs- und Kompromißformeln nutzbar. Je mehr Mächte ihre Gedanken da einbringen, ohne die von den Vereinten Nationen geschaffene Grundlage zu verlassen, desto besser. Es wäre gut, dabei auch unverwechselbar deutsche und europäische Vorstellungen zu finden.

Dr. Merkel war bis Oktober DDR-Botschafter in Kuweit

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