Bewegte Jahre am Stechlin

Nach jahrelanger Diskussion erlangt Naturschutzgebiet endlich Rechtskraft

  • Tom Kirschey
  • Lesedauer: 4 Min.
In diesen Zeiten freut man sich über jeden Erfolg beim Naturschutz, so klein er auch sein mag. Und das Naturschutzgebiet (NSG) Stechlin ist mit seinen 8670 Hektar sogar richtig groß, das größte im Lande Brandenburg. Kurz vor Jahresende 2002 wurde es mit der Veröffentlichung im Gesetzblatt auch rechtskräftig.
Die Geschichte des Gebietes ist bewegt, was man den knorrigen Buchenstämmen am Stechliner Seeufer kaum anmerkt. Ein Teil von ihnen bildete schon zu Theodor Fontanes Zeiten eine atemberaubende Kulisse, durch dessen »Wanderungen durch die Mark Brandenburg« und den »Stechlin« die Seenlandschaft weithin bekannt geworden war. Schon der frühen Heimatschutzbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts machte diese Publicity Sorgen. Kaufleute und Aristokraten erkundigten sich zu jener Zeit nach den Preisen von Grundstücken am 68 Meter tiefen, klaren See. Am benachbarten Wulwitzsee stand zu jener Zeit schon ein Haus - das Jagdhaus des späteren Luftwaffengenerals Milch. Dem damaligen Verständnis folgend, passten die Belange Jagd und Naturschutz gut zusammen, weil es darum ging, den Störfaktor Mensch von der eigenen »Spielwiese« auszuschließen. Dennoch wurde 1938, als Reichsforstminister Hermann Göring das Naturschutzgebiet Stechlin per Verordnung auf Drängen der Heimatschutzbewegung auswies, die Landzunge am Wulwitzsee ausgenommen. Das geschützte Gebiet umfasste damals etwa 1800 Hektar, darin den Großen und Kleinen Stechlinsee, den Nehmitz- und den Großen Kruckowsee. Auf der Landkarte findet man den Kleinen Stechlin heute nicht mehr. Milchs Intervention führte dazu, dass die DDR Ende der 50er Jahre bei ihrer Standortentscheidung für das erste Kernkraftwerk schnell auf das Naturschutzgebiet kam. Neben der Abgeschiedenheit reizte vor allem die Möglichkeit, zwei nahe Seen - den Großen Stechlin und den Nehmitzsee - als natürlichen Kühlkreislauf zu benutzen. Durch die Absenkung und Angleichung der Seestände Anfang der 1960er Jahre verschwand der Kleine Stechlin. Undurchdringliche Moorwälder wachsen heute dort. Schon damals war klar, dass die Erwärmung der Seen durch das Kraftwerkswasser zu gravierenden ökologischen Veränderungen führen würde. Diese zu untersuchen, war Aufgabe eines neugegründeten Forschungsstandorts im Kurort Neuglobsow. Die heute zum Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei gehörende Außenstelle forscht seitdem in den Gewässern des Naturschutzgebietes. In den 70er Jahren wurde das NSG ein erstes Mal auf 2150 Hektar erweitert. Auch am Stechlin setzte die politische Wende 1989 eine Zäsur. Für den Naturschutz war dies zunächst ein Fehlstart. Bei der Erarbeitung des ostdeutschen Nationalparkprogramms unter den Regierungen Modrow und de Maiziere wurde die Region um den Stechlin in einer Größe von knapp 10000 Hektar als Teil des Müritz-Nationalparks vorgesehen, vor Abschluss des Programms jedoch vergessen. Mit dem Einigungsvertrag und der Festschreibung der Landesgrenzen zwischen Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern wurde die Idee endgültig beerdigt. Auch wenn der langjährige Leiter des Nationalparks Bayerischer Wald, Hans Bibelriether, im Auftrag des Bundesamtes für Naturschutz 1997 nochmals einen Anlauf unternahm, den Stechlin zum Nationalpark werden zu lassen, hatte das Land Brandenburg das Projekt längst begraben. Bereits 1990 war ein Verfahren zur erneuten Erweiterung des Naturschutzgebietes begonnen worden. Das Gebiet sollte sich von Fürstenberg bis Rheinsberg erstrecken. Auch hier gab es Startprobleme. Das erste: Das Verfahren wurde zwar nach bundesdeutschem Recht eröffnet, jedoch gab es noch kein entsprechendes Landesgesetz. So wurde das Verfahren mehrmals aufgenommen und gestoppt. Unzählige Gespräche mit Landnutzern, Eigentümern, Gemeinden und Vereinen waren zu führen. Das zweite Problem: Vor allem die Abteilungen Land- und Forstwirtschaft des im Jahr 1999 fusionierten und verfahrensführenden Ministerium für Landwirtschaft, Umweltschutz und Raumordnung (MLUR) Brandenburg vertraten stärker die Nutzungs- als die Schutzansprüche. Neben der Fusion zum MLUR war vor allem die Bildung der Koalition von SPD/ CDU eine Richtungsentscheidung, die sich auf die NSG-Verordnung auswirkte. Dank der guten Ausgangslage und couragierter Mitarbeiter des Ministeriums hält sich der »Verwässerungsgrad« dieser Verordnung jedoch in Grenzen. Bemerkenswert erscheint die Regelung, wie das ehemalige Kernkraftwerk Rheinsberg ins NSG integriert werden kann. Hier verfolgt der Verordnungsgeber die Absicht, die Fläche des Kraftwerkes nach Rückbau zum Naturschutzgebiet zu machen. Damit ist Brandenburg - optimistisch betrachtet - nur noch wenige Jahre davon entfernt, das Milchsche Erbe zu tilgen. In anderen Teilen des Gebietes schufen einflussreiche Grundeigentümer bereits Tatsachen. So pflanzte ein Privatwaldbesitzer nordamerikanische Douglasien an, obwohl das laut Verordnung verboten ist und diese Regelung schon seit Jahren mit der einstweiligen Sicherstellung galt. Ein anderer Eigentümer ließ geschlagenes Holz in einer vermoorten Senke lagern und schädigte dabei die sensible Moorvegetation. Ein Grund auch, warum sich die NABU-Stiftung »Nationales Naturerbe« um ehemals volkseigene Flächen im Naturschutzgebiet Stechlin bewarb. Bis zu 700 Hektar Wald will die Stiftung von der Treuhandnachfolgerin BVVG übernehmen und auch Gewässer kaufen. Doch die Initiative könnte ein jähes Ende finden, auch weil die Übertragung an Alteigentümer und landwirtschaftliche Pächter Vorrang gegenüber der an Naturschutzstiftungen genießt. »Wenn das Tafelsilber der deutschen Einheit durch Eichels Finanzministerium verscherbelt werden sollte, ist die beste Schutzgebietsverordnung keinen Pfifferling wert«, meint Stiftungsvorsitzender Christian Unselt. Zudem hat der Zentralverband der Europäischen Waldbesitzer gegen die Flächenübertragung aus Naturschutzgründen mit Klage vor dem Europäischen Gerichtshof gedroht. Auch die kommenden Jahre versprechen daher bewegt zu werden am Stechlin.
Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das beste Mittel gegen Fake-News und rechte Propaganda: Journalismus von links!

In einer Zeit, in der soziale Medien und Konzernmedien die Informationslandschaft dominieren, rechte Hassprediger und Fake-News versuchen Parallelrealitäten zu etablieren, wird unabhängiger und kritischer Journalismus immer wichtiger.

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

Vielen Dank!

Unterstützen über:
  • PayPal