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  • Politik
  • Der Berliner Schauspieler Otto Mellies wird sechzig

Sein Nathan ist weise und streitbar

  • Lesedauer: 2 Min.

Die Lehrerin auf der Schauspielschule in Schwerin, Lucie Höflich, hatte ihm nach der Ausbildung gesagt: „Deine Stärke kommt, wenn du alt bist.“ An diesem 19. Januar wird er sechzig: Otto Mellies, Schauspieler am Deutschen Theater Berlin.

Nach Engagements in Schwerin, Neustrelitz, Stralsund, Rostock und Erfurt, an Theatern, an denen sich das Talent frei spielte, kam Mellies 1956 nach Berlin. Wenn ihm die Höflich seine männliche Ausstrahlung bestätigte, ihm Eleganz gab in der Ruhe, so prägte Wolfgang Langhoff, sein Intendant am Deutschen Theater, sein Gespür für Souveränität im Detail, für Innigkeit auch in der Härte, für Freundlichkeit auch in der Strenge. Der Elan seiner Helden, die er nun spielte, Ferdinand, Teilheim, Tempelherr, hatte immer auch glie-

dernde Gemessenheit. Mit geschmeidiger, wandlungsfähiger Stimme setzte er jeden leidenschaftlichen, jeden zarten Ton präzis.

Mellies wuchs mit seinen Aufgaben. In den sechziger Jahren profilierte er sich beim Fernsehen als Darsteller von Wissenschaftlern und Ärzten. Doch er blieb dem Deutschen Theater treu. Heute ist er ein feinsinniger Charakterdarsteller, wie er auf deutscher Bühne in dieser unaufdringlichen, dezenten Sublimität selten anzutreffen ist. Wieviele Schattierungen der Bösartigkeit, wieviele Nuancen der Güte. Mellies gab den Polizeipräsidenten in „Zufälliger Tod eines Anarchisten“ von Dario Fo, den Theseus in Shakespeares „Sommernachtstraum“, den Herzog Alba in Goethes „Egmont“, den Onkel Gajew in Tschechows

„Kirschgarten , den SS-Obergruppenführer Hörder in Bechers „Winterschlacht“.

Seit 1987 spielt Otto Mellies Lessings Nathan in der Regie von Friedo Solter. Er steht mit dieser Gestalt in großer Tradition an diesem Haus. Paul Wegener, Eduard von Winterstein, Friedrich Richter und Wolfgang Heinz spielten vor ihm. Sein Nathan ist nicht einfach die Fortsetzung berühmter Vorgänger, sondern ist bereichert aus zeitgenössischer Sicht. Kein abgeklärter Greis. Ein Mann in den besten Jahren. Weise durch cleveres Geschäft. Weise durch streitbares, stets lebenspraktisches Denken und Handeln. Weise vor allem durch II-? lusionslosigkeit. Ist das heute die beste Voraussetzung, alt zu werden? Wir wünschen es jedenfalls dem Nathan des Otto Mellies.

GERHARD EBERT

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