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Der Bestseller aus dem Untergrund

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Bernward Vespers Buch „Die Reise“ war 1977 ein Bestseller des; März Verlages. Der Sohn des Nazi^Dichters Will Vesper, Verlobt mit Gudrun Ensslin, der späteren Mitbegründerin der RAF, hat in der „Reise“ seine Wandlung vom konservativen Bürgersohn zum Anarchisten beschrieben. 1971, sechs Jahre vor dem Erscheinen seines Bestsellers, nahm Vesper sich in der Psychiatrie von Hamburg-Eppendorf das Leben.

Die drei Brandstifter wirkten zeitweilig offiziell als Sozialarbeiter der Stadt Frankfurt. Da bekamen sie, frag mich nicht, wieviel, man sprach so von sechstausend, siebentausend Mark im Monat. Und die Rehabilitationsarbeit bestand darin, daß die Sozialknete natürlich nicht nur in Haschisch oder Gras angelegt wurde, das hatte nun jeder irgendwie in der Tasche, nein, es wurde auch mit härteren Drogen zugeschlagen. Eine harte Drogengeschichte war das damals in Frankfurt. Die Bewegung, die sich später als RAF installierte, war ursprünglich ein Drogendrom. Aber Drogen wurden damals als elitär verstanden, das hatte noch nicht den Pißrinnengeruch von „Christiane F “, es ging noch um die Bewußtseinserweiterung der Privilegierten. Dazu gehörte auch das Revolverdrehen, dieser Django im Überbau.

Während der Buchmesse sind doch immer die „Salons“ im Interconti oder im Frankfurter Hof besetzt, das Plaza war damals noch

lutschten und die vom großen Schröder lernen sollten, der in Deutschland die erfolgreichste Olympia Press seit Menschengedenken aus dem Boden gestampft hatte. So saßen da fünfundzwanzig Figuren zusammen, um endgültig festzulegen, wie die Welt mit unzähligen Olympia-Press- Niederlassungen überzogen werden kann.

Da, plötzlich rollte die Tür auf, herein stürzten leicht irre grinsend, total high, der dumpfe Proll, Baader, Gudrun und eine Gruppe von Staffelberger-Jungs. Für damals heavy, wenn man sie aber mit unseren Autonomen vergleicht, hatten sie mit denen nur den blassen Teint gemeinsam, sonst sahen sie eher so aus wie die Motorrad-Bruderschaft Fuchstal e.V. heute, wo der Oberwachtmeister Xaver Sedlmayr in seiner Erdmann-Jacke mitfährt. Aber damals – fürchterliches Erschrecken der Pornographen über das Drehen von Colts auf den Fingern von Proll und Baader.

Ich war nicht erschrocken, kannte die Tour und schrie: „Raus! Ihr

Arschlöcher, blöder Proll und Baader raus!- -Elende Bescheißer!“ Denn/die drei waren tatsächlich Urkundenfälscher. Ich hatte ein Jahr vorher einen Vertrag mit ihnen gemacht über das Buch „BAU – Die Gefängnisse den Gefangenen“ Sie sollten Knasttexte herausgeben, es ging um die Knastbefreiungskampagne. Das war noch in Darmstadt, 1969, die drei kamen ohne Peter Söhnlein und haben mir erzählt, daß sie den Knastbefreiungsband machen müssen, daß sie dafür einen Vorschuß brauchen, um ihn zu schreiben. Ich habe ihnen einen Vertrag gegeben und viertausend Mark Vorschuß. Das fand ich zwar viel, aber o.k., für jeden tausend.

Sie nahmen das Papier mit. Söhnlein, der ja nicht dabei war, Peter Söhnlein wollten sie den Vertrag zur Unterschrift geben, er kam zurück, Thorwald Proll brachte ihn und präsentierte die Unterschrift von allen vieren, nahm den Scheck über vier Mille mit. Drei Tage später erfahre ich im Club Voltaire, daß Söhnlein überhaupt nichts von dem Buch weiß. Habe ich gesagt: „Ja, aber wieso? Du hast den Vertrag doch unterschrieben.“ „Nö, das kann nicht sein.“ Also habe ich Thorwald Proll angeleiert, da hat er es zugegeben: „Scheiße, wir haben eben die Unterschrift gefälscht.“ Die Frankfurter Linke war sehr peinlich berührt über diese Urkundenfälschung bei einem linken Verlag. Das war etwas anderes als die Abzocke, die sowieso lief, politische Kohle abzocken wie die linken St.-Martins-Sänger. „Hier wohnt ein reicher Mann...“ Also: „Hier, die Brandstifter sind

da, ihr tut jetzt raus für dieses Komitee und für jenes.“ In erster Linie natürlich für dasTripkbmiteer. Weil ich das nicht vor meiner JTür,haben wollte, habe ich die große Empörung gespielt wegen der gefälschten Unterschrift. Ich war zwar tatsächlich auch sauer, weil das Geld weg war, die mir einfach die vier Mille abgezockt hatten und gar kein Buch machen wollten. Aber hauptsächlich habe ich mich künstlich erregt und das Beste daraus gemacht, weil die sowieso in alle Leute ihren politischen Chitinrüssel reinsteckten. Ich bin rumgelaufen in Frankfurt: „Die Schweine haben das Buch doch gar nicht machen wollen, haben diese wichtige politische Arbeit kaputtgemacht.“ Das stimmte, aber ich hatte auch das sichere Gefühl, jetzt können sie wenigstens nicht noch mehr ziehen. Was sich übrigens als sehr weise herausgestellt hat.

Während der Eskalation und des massiven Unterdrucksetzens von Kapitalistenschweinen haben sie mich gänzlich in Ruhe gelassen. Ich hatte so wütend über sie abgezogen: „Wenn ich die erwische, den Baader, Proll und diese Ensslin... Der Baader kann mich mit seinem blöden Ballermann mal am Arsch lecken, dem haue ich einfach die Fresse platt.“ Ich war ja damals auch eine Großschnauze mit meiner dumpfen Lederjacke, und irgendwie müssen sie mir das geglaubt haben.

Ich saß also im Interconti, nicht in der Lederjacke, sondern im Operettentenoranzug von Gesa Irwahn, präsidierte und redete mit Akido Takeda über die Olympia Press Japan, er hatte sich gerade be-

schwert, wie schwierig es sei, weil in Japan Menschen auf Fotos nicht ätifeirranderliegen dürfen, da war die Tür aufgegangen, das Coltgedrehe, das Geheul, mein Gebrüll: „Raus! Arschlöcher, macht das woanders!“ Die internationalen linken Pornoverleger saßen da, blaß wie die Stearinkerzen. Ein Stutzen ging durch die Staf f elberger-Indianertruppe, sie machten kehrt auf dem Absatz, haben die Schiebetür zugezischt, weg waren sie.

Es gab viele Koffer-Leute, die damals mit Vesper und Ensslin zu tun hatten, und wegen der Korrespondenz von Vesper mit Gudrun über das Kind Felix bin ich damals auch nach Triangel gefahren. Es hatte nämlich Gudrun dem Bernward verboten, ihr gemeinsames Kind weiter zu erziehen, obwohl er mit Felix damals in Triangel, bei der Arbeit an der „Reise“, sehr väterlich und freundlich umgegangen war, umgeben von bürgerlichen Menschen, Schwester Heinrike und deren Familie. Er hätte also das Kind weiter bei sich behalten können, und das wollte er auch. Gudrun verbot es ihm und zwang ihn, Felix wegzugeben an Leute in Württemberg, an reaktionäre Spie-ßer, den Leibarzt von Kiesinger, die sollten ihr Kind erziehen. Eine grauenhafte Geschichte, wie das Kind Felix, das hängt auch mit der Wirkungsgeschichte der „Reise“ zusammen, sich dann entwickelte. Salopp würde man sagen: die Rache der Chromosomen. Tatsächlich hat wohl was anderes mehr Einfluß gehabt, nämlich dieser pergamentene Furor seiner Tante Christiane, der Schwester von Gudrun, der in peinlichster Manier von der Trotta in diesem Schwesternfilm verhack-

stückt worden ist. Da wurde f jdann auch von dem ominösen Säiireunf all geraunt, der Felix beim Spielen in einem aufgelassenen Steinbruch zugestossen war. Für Tante Christiane durfte das kein Unfall sein, das mußte im paranoischen Familienwahn zum Attentat auf das Ensslin-Kind hochstilisiert werden. Dazu die grauenhafte schwäbisch-pietistische Spießererziehung, die dieses Kind in dem Ärztehaushalt absolvieren mußte, das hat wohl zu massiven Defekten geführt.

Heinrike Stolze, Vespers Schwester, erzählte mir zwei Tage lang interessante Geschichten über Bernward, ihre Version bestimmter Passagen aus der „Reise“, über das Zuckerklauen der Kinder, aber auch über die larmoyante Einschätzung von Vesper, daß sein Vater und seine Mutter ihn gedemütigt hätten, als er das Ergebnis seiner ersten kindlichen literarischen Produktion ablieferte: „Es handelt sich um eine Sternennacht“. Dabei, meinte sie, ist ihrem Bruder von Mutter und Vater, als literarischem Thronfolger des Will Vesper, der Geniezucker hinten und vorne reingeblasen worden. Also eine ganz konträre Erinnerung. Es war etwas unheimlich mit dieser Schwester, wir sind in ihrem Restpark umherstolziert auf den Kieswegen, zwei Drittel des Parks hatte man verkauft, dennoch waren noch einige Kieswege übrig und riesige Rhododendronbüsche. Wir kamen an drei Eichen vorüber, darunter lagen die Findlinge für Rose Vesper, olle Will und tatsächlich ein Findling für Bernward. Den Bernward Vesper, der sich in seinem Buch radikal von seiner Familie losgesagt hatte. Das wußte Heinrike. Auf diesem Spaziergang spürte ich den Horror vor dem Familienausbrecher und den Stolz, daß nun, wenn auch auf andere Weise als erwartet, der Bruder den Ruhm des Vaters aufgenommen, fortgesetzt, noch übertroffen hatte. Denn von dem erzkonservativen Nazi-Autor Will Vesper wäre heute überhaupt nicht mehr die Rede, au-ßer in der der Vollständigkeit verpflichteten Literaturgeschichte, wenn nicht der Sohn das konträre literarische Erbe produziert hätte.

Das Gespräch mit Vespers Schwester war aufschlußreich, weil hier andere Facetten der Wirklichkeit zutage traten. Wenn das auch nur in etwa so gewesen ist, wie sie es erzählte, wie sie es erlebt hatte, dann konnte die „Reise“, die ich in der Redaktionsphase als eine Art von litterature veritöe begriffen hatte, so wahr nicht sein. Die Schwester gab mir dann zur Auswertung und Sichtung alles mit, was in Triangel noch in Kisten auf dem Boden stand, Akten, all das, was heute das Beteward-Ves-. per-Archiv ausmacht.

Die „Reise“, so schrecklich sie auch manche Leute angemutet haben mag, ist die Doktor-Jekyll-Seite des Bernward Vesper, und Mr. Hyde kam mir in diesen Briefen entgegen, schnarrend und säuselnd. Natürlich hätte ich mich um den Dreck gar nicht kümmern müssen, hätte es lediglich zur Kenntnis nehmen können und sagen: „Das Buch läuft jetzt, mit ihm die Legende, es gibt die .Hitlers Kinder'-Rezeption, um Gottes willen nicht daran rühren.“ Ich hatte nämlich Briefe gefunden von Gudrun Ensslin an die „National Zeitung“, die im Auftrage eines Bernhard Michaelsen verfaßt waren. In einer Zeit, als sie schon „Gegen den Tod“, also als junge Linke und Progressive durch die deutschen Landen zogen, haben sie als ihre eigenen Undercover-Agenten nicht nur für den Will Vesperschen Nachlaß getingelt, sondern auch als junge Rechte mit aufrechten Texten von Michaelsen. Wohlgemerkt, ich spreche nicht von Entwicklung, wie Vesper das in der „Reise“ dargestellt hat, der junge Nazi, der sein Damaskus-Erlebnis hinter sich hat. Nein, eine lange Zeit der junge linke Bernward Vesper und der rechtere Bernhard Michaelsen. Korrespondenzen mit dem Scheißdreck von Lippoldsberger Kreis und dem anderen Schnarchzapfen-Nazimurks.

Und Gudrun? Immer mittendrin und verehrte Frau Vesper hinten und vorne. Ich saß vor diesen modrigen Akten und den Bergen von Kinderpost. Denn Rose Vesper, die Mutter, hatte jedes Fitzelchen beschriebenen Papiers des jungen Genies aufgehoben. Jeden Brief des Pfadfinderführers Bernward an Gamal Abdel Nasser. Eine Monomanenkorrespondenz an berühmte Menschen, linke und rechte. Der an Nasser war ein Pfadfinderversuch, mit der Gifhorner Gruppe gratis' durch Ägypten zu reisen. Ein monomaner Brief Schreiber, er hat jeden Prominenten überzogen mit Briefen, schon als Dreizehnjähriger. Das hatte er von seinem Vater, der pflegte ebenfalls eine große Korrespondenz als Schriftsteller. Das Will-Vesper-Archiv verkaufte Bernward selbst noch ans Deutsche Literaturarchiv in Marbach. Und das haben die Marbacher nicht genommen, weil Will Vesper ein alter Nazi war, als abschreckendes Beispiel, sondern weil er mit der Hälfte der deutschen Geistesgrößen dieses Jahrhunderts korrespondierte, eine riesige Autographensammlung.

Mit Genehmigung des Autors gekürzte Kapitel IX und X des Fortsetzungswerkes „Schröder erzählt“, 2. Folge: „Eine Million und fuffzig“, 1. Druck August 'J990, März Desktop Verlag, Hauptstraße 29, 8915 Fuchstal-Leeder, 50.- DM, ISBN 3-920096-01-0

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