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  • Berlin
  • Berliner Werkzeugmaschinenfabrik soll Münchener Firma weichen

Betriebsrat: Interessant sind wir nur mit Mitgift

  • Lesedauer: 3 Min.

Sostschenkos Wort von den finster lächelnden Bauern drängte sich gestern in der Berliner Werkzeugmaschinenfabrik (BWF) in Marzahn zur überraschend einberufenen Betriebsversammlung auf. Wenig Gegenliebe erntete der zwei Tage im Amte weilende neue Geschäftsführer, Dr. Ernst Rückerl, als er die Werkzeugmaschinenbauer mit den neuesten und für die Belegschaft äußerst einschneidenden Plänen konfrontierte. Fazit: BWF soll binnen kurzer Zeit seinen Standort aufgeben. Zugunsten der Knorr Bremse AG München, die sich in Marzahn ansiedeln und das 35-Hektar-Areal kaufen will.

Betriebsratsvorsitzender Silvio Löffler schilderte vor der Presse -Geschäftsleitung und Betriebsrat hatten gemeinsam eingeladen, jedoch nur die gewerkschaftliche Interessenvertretung erschien - die Betroffenheit der Belegschaft. Man befürchte, daß für BWF mit einem Umzug sehr große Gefährdungen für den Erhalt der Arbeitsplätze verbunden sind. Für den Betrieb, der bis 1993 das verkehrsmäßig äu-ßerst lukrative Terrain verlassen, aber bereits bis Ende November drei Hallenschiffe und 4 000 Quadratmeter Bürofläche räumen soll, könne der Umzug ein glattes Aus in der Geschäftswelt bedeuten, meint der Betriebsrat.

Nicht vom Tisch zu wischen sind auch die Befürchtungen, daß sich die Privatisierung erneut verzögert - Interessenten aus den Altbundesländern, Japan und den USA hätten sich ob der Unwägbarkeiten mit dem Standort bereits in diskreter Zurückhaltung geübt. „Interessant sind wir nur mit Mitgift“, meinte Löffler etwas sarkastisch. Auch ein Kooperationsvertrag mit

einem Träger für Arbeitsbeschaffungs-, Umschulungs- und Qualifizierungsmaßnahmen, der 800 BWF-Mitarbeitern eine neue Perspektive eröffnen sollte, drohe wegen der anhaltenden Unsicherheit zu platzen. Zudem warnte der Betriebsrat, daß bei einem Umzug die bereits eingegangenen Verträge auf dem ohnehin schwierigen Markt nicht fristgemäß eingehalten werden können. Und jeder weiß, der angebotene Köder mit der Zielprämie für den flotten Umzug wiegt eventuelle Vertragsstrafen nicht im Bruchteil wieder auf;

Interessant an der für BWF völlig neuen Konstellation: Erst vor wenigen Wochen war ein Gutachten erstellt worden, nach dem der re-

nommierte Schleifmaschinenhersteller, der bislang keinerlei Liquiditätsprobleme hat, aus wirtschaftlichen Gründen am alten Standort belassen werden und Knorr das Gelände nördlich davon beziehen sollte. Über Nacht entschied man sich in der Treuhand anders, begründete dies allerdings wieder mit dem ökonomischen Sinn. Genauere Details - etwa die klitzekleine Kleinigkeit, wieviele Arbeitsplätze der jetzt 1100 BWF-Mitarbeiter erhalten werden sollen - sind dem Betriebsrat bislang nicht bekannt. Der Zufall wollte es, ,daß der frischgebackene 63jährige Geschäftsführer den Journalisten nach der Pressekonferenz doch noch übern Weg lief und den ge-

planten Umzug als Schritt hin zur Sanierung bewertete. Ein Verbleib in dem angestammten Betrieb würde nach Einschätzung des Geschäftsführer das Unternehmen unverantwortlich belasten. Zudem habe die Treuhand BWF zugesagt, die Altschulden zu erlassen und den Verkaufserlös für die Sanierung nutzen zu dürfen. Einen Zusammenhang des Geschäftsführerwechsels mit der neuen Sicht auf das Betriebsgelände und die Pläne damit schloß Rückerl aus. Als er vor der Betriebsversammlung allerdings das Wort vom gegenseitigen Einvernehmen redete, lachten die Werkzeugmaschinenbauer ebenfalls sehr finster.

GABRIELE OERTEL

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