Lügen für den Profit

Erfahrungen eines "freien" Autors mit der Pressefreiheit

  • Werner Rügemer
  • Lesedauer: 6 Min.
Über »Einschränkungen« der Pressefreiheit im Kriegsfall hagelt es inzwischen kritische Pflichtkommentare zuhauf: »Im Kriege ist die Wahrheit das erste Opfer«. Dass dieselben Medien in Sachen Wirtschaft und einheimischer Politik ganz selbstverständlich »Einschränkungen« der Pressefreiheit selbst praktizieren, und zwar täglich und ganz normal, geht bei diesem kritischen Gerede unter.
Dreißigster Dezember 2001: Im Programm des SüdwestRundfunks (SWR) steht für 14.05 bis 14.50 Uhr die Sendung »Banken-Insider Ernest Backes im Gespräch mit Werner Rügemer«. Drei Monate hatte die Vorankündigung im Programm gestanden, mit Fotos, Inhaltsangabe und Literaturempfehlungen. Auf der SWR-Internetseite konnte man anklicken »Sendemitschnitt bestellen«. Backes hatte in Frankreich das Buch »Révélations« (Enthüllungen) veröffentlicht. Er schildert als ehemaliger leitender Bankenmitarbeiter, wie in der internationalen Clearingbank »Clearstream« in Luxemburg die großen Banken und Konzerne mit dubiosen Instituten der Mafia und aus Finanzoasen kooperieren. Doch am 31.12.2001 kam die Sendung nicht. Ohne Vorwarnung. Ich wurde von Hörern angerufen, was mit der Sendung sei. Die Redakteurin war wochenlang nicht erreichbar. Schließlich stammelte sie, eine »interne Runde im Sender« habe sich das Gespräch angehört und befunden: »nicht sendefähig«. Wer zu der Runde gehörte und welche Gründe eine Rolle spielten - keine Auskunft. Auf meine Nachfrage hin bemerkte die Redakteurin, dass »übrigens« die mit mir vereinbarte nächste Sendung ebenfalls nicht stattfinden könne. Meine Mitarbeit ist seitdem beendet. Ein anonymes Gremium beschließt: nicht sendefähig. Begründung wird nicht gegeben. Keine Mitteilung an Autor und Gesprächsteilnehmer. Im Publikum regt sich ein klitzekleines Erstaunen. Und so schnell habe ich noch selten ein Honorar bekommen. Für mich eine Erfahrung unter vielen. Ob andere Autoren auch solche Erfahrungen haben? Ja, zufällig erfährt man so was mal, aber die Kommunikation darüber ist schwierig. Selbst für die journalistischen und gewerkschaftlichen Fachblätter ist Zensur kein Thema. Sondern Routine, mit der man sich abgefunden hat. Pressefreiheit in Deutschland. Selbst wenn etwas veröffentlicht wird, kann es zensiert sein. Das ist wohl der Normalfall. Die stellvertretende Chefredakteurin des »Kölner Stadt-Anzeigers« bestellte bei meinem Kollegen Erasmus Schöfer und mir für die Wochenendausgabe einen Artikel über die Kölner Unterwelt - Wege und Zusammensetzung des Abwassers. Als er auf einer Doppelseite erschien, erkannten wir ihn nicht wieder. An 82 Stellen war er geändert, zum Teil ins Gegenteil umgeschrieben. Dioxin im Abwasser und die Herkunft aus einer Textilfirma - gestrichen. Wir klagten gegen den Verlag wegen Urheberrechtsverletzung und Rufschädigung. Noch nie hatten Autoren sich erfrecht, aus solchen Gründen »ihr« Medium zu verklagen. Erstaunlicherweise bekamen wir recht. Der Verlag musste uns 10000 Mark Schmerzensgeld zahlen. Ein erstmaliges Urteil in Deutschland. Eine Sensation. Doch kaum eine Zeitung hat darüber berichtet. Zehntausende »freier« Autoren füllen heute die Zeitungsseiten und Sendezeiten. Sie sind vom Wohlwollen der Redakteure abhängig, die in den großen Medien die Entscheidungen treffen. Das schafft Stillschweigen, gebückten Gang, Zynismus, vorauseilende Anpassung an das Gewünschte. Der für die Wochenendausgabe des »Stadt-Anzeigers« verantwortliche Redakteur wurde für »hervorragende journalistische Arbeit« mit dem »renommierten« Theodor-Wolff-Preis ausgezeichnet. Und stieg auf zum Spiegel-Redakteur. Eine Anfrage beim Preisgeber, ob die Auszeichnung mit dem Urteil vereinbar sei, blieb unbeantwortet. Auf den ersten Blick gibt es eine große Medien-Vielfalt. In Wirklichkeit grinst uns dahinter ein uniformistisches Einheits-Medium an. Vom »Schwarzwälder Boten« über die Tagesschau bis zur »Süddeutschen Zeitung« sind, wie auf Kommando, die täglichen Schwerpunkte und Bewertungen gleich: Die wichtigste Katastrophe, die Äußerung Schröders oder Stoibers, der Aktienkurs der Telekom, der böse Saddam. Die vier internationalen Presseagenturen füllen zu 90 Prozent die Seiten für Politik und Wirtschaft. Ohne Anweisung aus einem Reichspropagandaministerium werden einheitlich vom Bodensee bis zur Ostsee die Gewerkschaften und SPD-Linken als steinzeitliche Reformverhinderer gebrandmarkt und wird die Privatisierung als Allheilmittel für die Sanierung der Staatsfinanzen gelobt. Senkung der Unternehmenssteuern bringt Arbeitsplätze, Lockerung des Kündigungsschutzes bringt Arbeitsplätze - die längst wiederlegten Behauptungen der Unternehmerlobby werden gebetsmühlenartig wiederholt. Die Lohnforderungen der Gewerkschaften werden als zu hoch gegeißelt, nach der Höhe der Gewinne wird nie gefragt. Die tägliche Meldung über die Entwicklung der Aktienkurse ist Standard, die Entwicklung der Realeinkommen ist keine Meldung wert. Die Interessenlage, an der sich der bunte Medien-Uniformismus ausrichtet, ist die des Aktionärs. Für die Bewertung eines Unternehmens spielt dessen Umweltfreundlichkeit keine Rolle, auch nicht, ob hier möglichst viele Arbeitnehmer auch in Krisenzeiten in Arbeit gehalten werden. Im Gegenteil. Nur wenn der Aktienkurs steigt, geht es dem Unternehmen gut. Dafür werden die Angaben des Vorstandes über Umsatzsteigerungen für bare Münze genommen und hochgejubelt. Die Erfüllung des Journalistenlebens besteht darin, nach dem Kamingespräch mit dem Vorstandsvorsitzenden als erster das nächste tolle Quartalsergebnis bekannt geben zu dürfen. Ob das ein paar Monate später sich als Betrug herausstellt oder nicht - das ist auch den »seriösen« und als wirtschaftskompetent geltenden Blättern wie »Handelsblatt« und »Frankfurter Allgemeine Zeitung« egal. Man wird sich ja noch mal irren dürfen. Diese Haltungen sind keineswegs auf private Medien beschränkt: die Börsenberichte im öffentlich-rechtlichen Fernsehen wie in der »Tagesschau« gehören zu den Spitzenleistungen der Volksverdummung. Im Interesse des Shareholder Value darf jede Lüge erzählt werden, wie es sich bei der »New Economy« herausstellte. Wobei selbst dies eine Täuschung ist, denn nicht der einfache Aktionär ist der Gewinner der Entwicklung, sondern der Insider, der über qualitativ mehr Wissen und Handlungsmacht verfügt. Beim großen Börsencrash der letzten Jahre wurden nicht, wie es uniformistisch heißt, mehrere hundert Milliarden Dollar Anlegergeld »vernichtet«, sondern sie befinden sich nur auf anderen Konten. Die größten Konkurse der bisherigen Weltgeschichte wie bei Enron und Worldcom wurden als Betrügereien einzelner kleingeredet. Dass es tausende von Gewinnern gibt, dass es nicht um Betrügereien ging, sondern um weithin »legale und inzwischen normale Operationen - dies wird einheitlich verschwiegen. Pressefreiheit als Freiheit zur großen Lüge im Dienst der Gewinne für wenige. Natürlich müssen wir dankbar sein, dass auch noch kleine, unabhängige, »linke«, »alternative« oder jedenfalls dem ursprünglichen Auftrag der wahrheitsgemäßen Unterrichtung verpflichtete Medien existieren können. Das Internet bietet einige neue Möglichkeiten. Die Lage ist übrigens in den USA, in Luxemburg und Indien nicht viel anders als in Deutschland. Internationale Vernetzung ist gegenüber dem real existierenden Provinzialismus der herrschenden Großmedien notwendig, um ein wirkliches Bild der Welt zu gewinnen. Aber es ist klar, dass der Kampf um Pressefreiheit, der im 19.Jahrhundert begonnen hat, noch lange nicht zu Ende ist.
Die Pressefreiheit und die Menschenrechte von Journalisten und Schriftstellern sind nach Angaben von Menschenrechtsorganisationen weltweit zunehmend bedroht. Seit Jahresbeginn seien 23 Berichterstatter getötet worden, 14 davon im Irak-Krieg, erklärte das Internationale Presse-Institut. Im Jahr 2002 seien insgesamt 54 Journalisten ums Leben gekommen. Alleine in Kolumbien wurden seit Anfang vergangenen Jahres 18 Reporter getötet, in Russland im gleichen Zeitraum neun. Auch die Menschenrechtsorganisation amnesty international wies auf die globale Bedrohung der Menschenrechte von Journalisten, Autoren und Schriftstellern hin. Derzeit bemühe sich die Organisation in Eilaktionen unter anderem um die Haftentlassung des ägyptischen Journalisten Ibrahim al-Sahari und des iranischen Journalisten Amir Abbas Fakhravar. Unser Autor ist Publizist und lebt in Köln.

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