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  • Wissen
  • Konferenz von UTOPIE-kreativ zur Zukunft von Wissenschaft und Kultur in Berlin-Brandenburg

„Forscher kann man doch nicht ins Tiefkühlfach legen“

  • Holger Becke
  • Lesedauer: 4 Min.

Warum werden heute Universitäten gegründet? - Nicht selten, weil Politiker sich wenigstens posthumen Ruhm verschaffen möchten. So formulierte es leicht zugespitzt ein Kenner der Materie am letzten Wochenende in Gosen südlich von Berlin, wo eine Schar wirklich Interessierter sich zu Debatten über die Perspektiven von Wissenschaft und Kultur in der Region Berlin-Brandenburg traf. Eingeladen zu dieser Konferenz hatte die Redaktion der Zeitschrift UTOPIE-kreativ gemeinsam mit dem Brandenburger Verein für Politische Bildung „Rosa Luxemburg“ und dem Berliner Verein zur Förderung von Politik, Bildung und Kultur „Helle Panke“. Ob eingangs genannte Motive für Universitätsgründungen auf gegenwärtige Pläne in Brandenburg zutreffen könnten, wurde dort nicht weiter vertieft. Doch ist es tägliche Erfahrung, daß wissenschafts-, bildungs- und kulturpolitische Vernunft oft im Dschungel von Parteiinteressen, Strategien der Herrschaftssicherung und persönlichen Profilierungsbedürfnissen auf der Strecke bleibt, von der besonderen Macht der Finanzminister ganz zu schweigen.

So war es ein ehrbarer Versuch, auf dieser Konferenz Sachverstän-

dige - Wissenschaftler und Künstler, Vertreter von Parteien, Gewerkschaften und Vereinigungen zusammenzuführen. Und letztlich auch ein gelungener, selbst wenn von den politischen Parteien nur PDS und SPD auszumachen waren und sich der „Kulturteü“ des Diskurses aufgrund unglücklicher Zufälle beschränken mußte - auf Ausführungen des PDS-Fraktionschefs im Potsdamer Landtag Lothar Bisky zur Medienentwicklung, die ihren Regionalpatriotismus nicht versteckten, und von Ruth Martin (IG Medien), die u.a. darauf aufmerksam machte, wie mit der Schließung von Kulturhäusern, dem Wegfall von Zirkeln etc. die Zugangsmöglichkeiten zu kulturell-künstlerischer Bildung erheblich enger werden (was man durchaus als kulturelle Ent-Demokratisierung beschreiben kann).

Die Debatte um den Zustand und das künftig Notwendige in Wissenschaft und Forschung war dafür umso intensiver. Und sie ergab zum Teil erstaunliche Berührungspunkte. So als der Präsident der im Berliner Grunewald angesiedelten Ost-West-Wirtschaftsakademie, Klaus-Heinrich Standke, seine Auffassungen zu Wissenschaftsund Technologiepolitik in der Re-

gion Berlin-Brandenburg darlegte - „aus technokratischer Sicht“, wie er betonte. In ruhiger Selbstverständlichkeit sprach Standke, der mehr als zwei Jahrzehnte bei der UNO bzw. UNESCO tätig war, so manches aus, das sonst, kommt es von den linken Kritikern des „Vereinigungsprozesses“ in der Wissenschaft, schlicht abgetan zu werden pflegt. Zum Beispiel: Man solle doch bitteschön nicht alles blind kopieren, was in der alten BRD so üblich ist, sondern sich im europäischen Raum orientieren („Schauen wir doch mal zu den Holländern oder Finnen“). Die Wissenschaft im Berlin-Brandenburger Raum müsse ihren Standortvorteil als Brücke nach Osten bewußt nutzen. Und gerade angesichts des Zusammenbruchs der Industrieforschung seien jetzt Schutzmechanismen für die neuen Bundesländer nötig („Forscher kann man doch nicht ins Tiefkühlfach legen und hervorholen, wenn man sie wieder braucht“).

Daß Berlin und Brandenburg in der Wissenschaftspolitik konzeptionell zusammengedacht werden müssen, war auf der Konferenz kaum strittig. Es wurde auch aus wissenschaftshistorischer Sicht unterstrichen, vor allem von Hu-

bert Laitko, der einen höchst interessanten Vortrag über die Wissenschaftsentwicklung in der Region von der Gründung der einstigen Frankfurter Universität 1506 bis 1945 hielt. Laitko machte dabei auf die Langzeitzusammenhänge in einer - trotz aller Brüche - über Jahrhunderte gewachsenen Wissenschaftslandschaft aufmerksam.

Wie wenig soetwas von den politischen Entscheidungsträgern überhaupt zur Kenntnis genommen wird, verdeutlichte am.Beispiel der ehemaligen AdW und ihrer Gelehftengesellschaft deren Präsident Horst Klinkmann. Als Präsident müsse er schon froh sein, daß mit der vorgesehenen Neukonstituierung als Berlin-Brandenburgische Akademie per Staatsvertrag die Liquidierung der von Leibnitz gegründeten Einrichtung vom Tisch sei. Auch wenn Klinkmann gewohnt zurückhaltend formulierte, hanebüchen bleibt es, wenn nun erstmals in der Geschichte dieser Akademie die Beendigung der Mitgliedschaften verfügt wird. Und Berlins Regierung (im Unterschied zu Brandenburg) auch weiter auf ihrer Auffassung beharrt, daß eine Rechts- und damit Vermögens(!)nachfolge der ehemaligen

Preußischen Akademie nicht gegeben sei.

Selbstverständlich spielten die existenziellen Probleme der Wissenschaftler im Osten ihre Rolle. So bei einer Diskussion über ABM-Maßnahmen in der Wissenschaft, deren Funktion Reinhard Mocek (Halle) nicht zuletzt darin erblickte, über eine phasenverzögerte Entlassung von Wissenschaftlern in die Arbeitslosigkeit das Bild zu schönen und internationale Proteste abzumildern. Polemische Schärfe blitzte auf, als über die Chancen(un)gleichheit von Frauen in der Wissenschaft verhandelt wurde. Daß Frauen nun mal Kinder kriegen und keine Gesellschaft bisher die diesbezüglichen Probleme habe lösen können, wie ein Brandenburger SPD-Vertreter meinte, kam nicht nur den Frauen im Saal vorsintflutlich vor. ?

Der in Nöten steckenden UTO-PIE-kreativ ist zu wünschen, daß ein Weg gefunden wird, die ansonsten auf hohem Niveau geführten Debatten in einem Sonderheft zu dokumentieren. Und daß der vom Chefredakteur des Blattes Helmut Steiner geäußerte Wunsch sich erfüllt: Bis zum nächsten Mal.

HOLGER BECKER

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