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  • Über einen gewöhnlichen Stadtbezirk, seine nicht ganz gewöhnlichen Bewohner und eine Künstlerin, die dort schon lange lebt

Schöner häßlicher Prenzlauer Berg

  • DORIS FRIEDRICH
  • Lesedauer: 8 Min.

den als Staatsbarock verpönt. Auf der Schönhauser Allee versuchte man deshalb, Stuck, Balkone und Erker abzuschlagen. Heute sind wir über jedes erhaltene Schmuckelement froh.

Heidi Woitinek, Jahrgang 41, ist Malerin und Textilkünstlerih. Von ihr möchte ich mehr erfahren über den Prenzlauer Berg. Als sie vor zwanzig Jahren in diesen Stadtbezirk zog, war der für sie: „das Scheußlichste, was ich mir vorstellen konnte.“ Inzwischen hält es Heidi Woitinek für möglich, im Prenzlauer Berg alt zu werden, auch wenn sie einschränkend betont, daß das Leben ein Fluß ist. „Wer weiß, wo mich seine Wellen noch hinwerfen werden. Der Prenzlauer Berg aber bliebe meine Sehnsucht, er ist in mir verankert, doch ich muß sagen, daß ich nicht gerAe voraussage. Ich lebe im Jetzt.“ Sie sieht auch nicht aus, wie eine Frau, die auf Seßhaftigkeit aus ist, die sich festnageln läßt. Viel zuviel Energie sitzt hinter ihren Augen, ihrem Gesicht, ihrem Bauch. „Ich bin ein Löwe, ein Feuermensch“, sagt sie. Ich glaub' es ihr.

Über den Prenzlauer Berg erzählt Heidi Woitinek: „Er hat den Klang der Vergänglichkeit. Und weil wir mit Tod nicht umgehen können, entsteht daraus ein Spannungsfeld. Darin ist der Prenzlauer Berg lebendig. In den Hinterhöfen steigt der Schweiß der Generationen auf, der Geruch von verbranntem Fleisch und von frischem Bäckereibrot, Neid und Zärtlichkeit, die Eifersucht und die Weichheit eines Bettes. Das schwingt al-

les mit. Hier im Prenzlauer Berg hat auch die Muse noch ihren Wohnsitz. Sie ist etwas heruntergekommen und stinkt manchmal nach Hundekacke, aber wir Künstler lieben sie.“

Heidi Woitinek ist keine Unbekannte. Seit vielen Jahren stellt sie aus, alleine oder in Gruppen. Ihre abstrakten Collagen und Malereien entstehen auf einem kostbaren Material, auf Seide. Die Grenze zwischen Textilgestaltung und Malerei ist fließend in ihren Werken. In manchen geben Nähte grafische Strukturen, überlagern sich Schichten aus Stoff und Farbe. Wasserfarben können auf Seide zerlaufen wie in Aquarellen. Was dabei geschaffen wird, sind Kostbarkeiten. Man findet in ihnen Zeichen, Symbole, archaische Muster-Mystik. Ist diese der Ausdruck für die Suche der Künstlerin nach dem Wesentlichen, nach den Ursprüngen des Seins? Wird ihr Drang, harmonische und schöne Bilder zu gestalten, von der Sehnsucht nach Ganzheit getrieben? Heidi Woitinek verwendet auch leuchtende Farben in ihren Werken. Sie setzt Farben immer sehr bewußt, denn Farben haben, wie sie sagt: „einen Klang und ein Gewicht. Im Mittelalter kannte man die Bedeutung der Farben viel genauer als heute. So war Purpur für Darstellungen der Maria und des Christus vorbehalten. Wir wissen nur noch Wenig. Ein gebrochenes Gelb steht z. B. für Neid, Blau ist eine universelle und Gold eine geistige Farbe.“

Ich frage sie, ob auch der Prenzlauer Berg seine Farben hat? Heidi

Woitnek: „Ja, er hat zwei, die Farbe des Backsteins und die des Himmels zur ,Blauen Stunde' Diese leuchtende Stunde, in der sich Ying und Yang vereinen, in der Harmonie über den Höfen liegt.“

Sie kommt ins Erzählen: „Vor allem viele junge Leute, viele aus meiner Generation, wollten zu DDR-Zeiten unbedingt im Prenzlauer Berg wohnen. Was zog sie dorthin? War es die Schönheit der Straßenfluchten, die Schönheit der großen Räume? Oder wollten sie gegen allen „sozialistischen Optimismus“ auch den Zerfall sehen? Brauchten sie das Großstadtgewimmel, um unterzutauchen? Aber das gab's anderswo auch. Es scheint, als ob es die Menschen selbst waren, die sich gegenseitig anzogen. Manch einer fand hier, und vielleicht nur hier, genügend Gleichgesinnte, die lebenswichtig wurden.“

Für Heidi Woitinek waren das Künstlerkollegen. „Wir kannten doch fast nur Katalogkunst. Der Austausch untereinander war daher ungeheuer wichtig. Die Erstarrung spürten wir doch gemeinsam, in uns drinnen und draußen. Warum entdeckten denn so viele Berliner Maler die Grauheit?“

Freunde benötigten vor allem die Wenigen, die versuchten, Grenzen und Verbote des DDR-Staates zu verschieben. Im Prenzlauer Berg waren das mehr als anderswo. Hier gründete sich 1981 die erste Bürgerinitiative (zur Begrünung eines Hinterhofes). Es war wohl die erste in der DDR. Hier gab es immer wieder Bemühungen, private Kinder-

gärten aufzubauen, Galerien und Cafes zu eröffnen. Auf den Höfen traten Puppenspieler auf ... es lebte in den Straßen. Bloß „Möchtegerns“ hätten das nicht vermocht.

Gerade aber gegen die Aktiven richtet sich, weil auch unter ihnen Stasi-Mitarbeiter waren, der Vorwurf, der Prenzlauer Berg sei von der Stasi unterwandert gewesen. Was meint Heidi Woitinek dazu? Sie sagt: „Ich denke, dieses Thema wird sehr hochgespielt und benutzt. Dabei haben wir jetzt die Chance zurückzudenken. Krisen sind doch dazu da, Korrekturen vorzunehmen. Veränderungen beginnen immer in einem selbst. Ich muß mich persönlich betrachten, sehen, wo ich menschlich gekniffen habe und wo ich Haltung bewahrte. Den Judas hat jeder in sich. Da kann ich doch nicht bei den anderen anfangen. Täterschaft, ob bei der Stasi oder woanders, hat noch eine andere, sehr persönliche Dimension. Wenn ein Mensch Gewalt über einen anderen ausübt, wenn er andere quält, dann tut er das, weil er selbst gequält wurde, meist in der Kindheit. Es ist die Erbsünde, jeder gibt sie an die nächste Generation weiter. Nur wenn ich es erkenne, kann ich es verändern. Mit Schuldzuweisungen klärt man da gar nichts.“ Ich verlasse die Künstlerin Woitinek, diese Wohnung, in der einst Briefe von Kafka gelesen wurden. Hier wohnte bis 1913 Feiice Bauer, die Verlobte Kafkas. Kafka selbst war nie hier.

Ich schlendere ziellos umher. Das Stadtbild ist. anders als in anderen Ostberliner Wohngebieten. Viel

mehr Galerie-Cafes, schrille Boutiquen, Bioläden, Off-Theater ...

Überall kleben Plakate, zeugen von Vielfalt und Leben und verunzieren zugleich die Häuser, bringen Häßlichkeit. Ich gelange zum Wasserturm. Früher habe ich alle beneidet, die in diesem schönen Rundbau ihre Wohnung hatten. Seit ich weiß, daß in den Kellerräumen des Turmes die SA gleich zu Beginn der Hitlerzeit ein provisorisches KZ errichtet hatte, möchte ich auf keinen Fall mehr hier wohnen. Gegenüber gibt es jetzt ein Cafe, die „Kommandantur“ Vor der Tür steht Bersarin in Gips, der erste Stadtkommandant dieser Stadt. Der Szene-Wirt bringt mir guten Kaffee und ausgezeichneten Pflaumenkuchen, selbstgebacken. Durch das Fenster beobachte ich ein Liebespaar auf der Straße. Er trägt einen Mantel der Roten Armee, steht wohl auf military-look. Ich werde an Achmet erinnert. Er ist fünfzehn, im Prenzlauer Berg groß geworden und Mulatte. Sein ganzes Denken ist auf Verteidigung eingestellt, auch hier im Prenzlauer Berg. Achmet steckt mitten in der nachwachsenden linken Szene, sprüht mit Freunden Graffitis. Für Achmet „ist das Gewaltpotential unter Jugendlichen so ungeheuer groß, wie sich das Erwachsene nicht vorstellen können. Früher wurde aufgehört, wenn's blutete. Heute geht's bis zum Töten. New Yorker Verhältnisse“ Übertreibt er?

Mit düsteren Gedanken verlasse ich die „Kommandantur“ und laufe weiter durch den inzwischen nächtlichen Prenzlauer Berg, Richtung Kollwitzplatz. Vor mir zwei etwa zehnjährige Jungs. Plötzlich höre ich einen Mann sehr laut, sehr brutal etwas Unverständliches brüllen. Da ich ihn nicht sehen kann, werde ich unruhig. Erstaunt bin ich über die Kids. Die gehen weiter wie zuvor, reden miteinander, scheinen ihn nicht wahrzunehmen. Alltag, weiter nichts.

Heidi Woitinek sprach von der Angst poetisch: „Hier, wo die Nacht nie dunkel wird, kriecht die Angst an den Wänden der Häuser empor. Es ist die Angst vieler Generationen, die Angst der kleinen Leute, die Angst der Bombennächte, die Angst vor Hunger und Alleinsein. Es ist die Schlange der Großstadt.“

Das Cafe Westphal ist voll. Die intellektuelle Szene hat sich versammelt. Die Schmuddelpunks, die sich während der Wende hier besoffen, sind nicht zu sehen. Manchmal, so hab ich mir sagen lassen, kommen Jugendliche ins CW, die nur Englisch miteinander reden, obwohl sie neben uns aufgewachsen sind.

Ich spaziere weiter, in die Sredzkistraße. Vor der Nummer 64 bleibe ich stehen. Hier gibt Heidi Woitinek Kurse für kreatives Training und Zeichnen. Mit neun weiteren Künstlern, alle aus dem Prenzlauer Berg, gründete sie hier die Offene Kunstwerkstatt. Das wäre für Heidi Woitinek zu DDR-Zeiten nicht in Frage gekommen. Mein Weg führt mich weiter in die Knaackstraße. Ich will sehen, was aus dem Künstlerinnenhaus geworden ist. Sie begannen mit gro-ßen Ideen und waren sich darin so uneinig. Im Durchgang riecht's nach Urin. Im Hinterhaus finde ich einen Briefkasten, mit abgehobenem Künstlerinnenvereinsnamen. Der hing damals schon. Mehr ist wohl nicht draus geworden.

Zwei Häuser weiter wird gerade eine Ausstellung eröffnet. Rote glühende Bilder ziehen mich hinein. Jemand liest aus einem mir unbekannten Text, liest miserabel, aber seine Locken schüttelt er gut. Gelangweilt blicke ich mich um und erschrecke. Dicht hinter mir, auf der weißen Wand, sitzt eine riesige fette Spinne. Das ist mir nun doch zuviel, die Glut der Bilder und diese Spinne dazu. Ich trete hinaus. Die Straßenbahn wird mich in meinen Friedrichshain fahren.

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