Es geht auch ohne Ritalin

  • Ingomar Schwelz
  • Lesedauer: 3 Min.
Für die einen ist es ein Wundermittel, für die anderen eine süchtig machende Psychodroge. Kaum ein Medikament ist in Deutschland so umstritten wie Ritalin.
Der Verbrauch des Wirkstoffs Methylphenidat des Baseler Pharmakonzerns Novartis explodierte in den letzten Jahren so stark, dass die Initiativen für den verantwortungsbewussten Umgang mit dem Medikament sogar den Bundestag beschäftigten. Mittlerweile gibt es auch Therapieerfolge durch Homöopathie und die Umstellung der Ernährung.Bei rund zwölf Prozent aller Kinder und Jugendlichen in Deutschland wird die Diagnose »Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom mit oder ohne Hyperaktivität (ADS)« gestellt. Rund 80 Prozent davon sind Jungen. Wissenschaftler meinen, dass ADS durch eine Störung in der Informationsverarbeitung des Gehirns, speziell des Dopaminstoffwechsels, verursacht wird. Um die Konzentration dieses Stoffes zu stabilisieren, wird Methylphenidat zugeführt. Der Wirkstoff gehört zu den Amphetaminen.

Viel Nebenwirkungen

Methylphenidat wird nicht nur von Kinderärzten und -psychiatern verordnet, sondern auch von Hausärzten, Frauen­ und Zahnärzten. Fehldiagnosen sind häufig. Experten und Politiker monieren fehlende Langzeituntersuchungen und warnen vor offensichtlichen Nebenwirkungen wie Angst, Schlaflosigkeit und Verfolgungswahn. Nach Ansicht des Stuttgarter Kinderpsychiaters Reinmar du Bois »lässt sich fast jede gängige Verhaltensstörung mit ADS beschreiben«.
ADS-Kinder verhalten sich ganz unterschiedlich, so das amerikanische Ärzte-Ehepaar Ullman in seinem Buch »Es geht auch ohne Ritalin«. Manche sind verträumt, aber nicht hyperaktiv, andere ständig in Bewegung, so als wären sie motorisiert. Wieder andere können nichts erwarten, unterbrechen ständig, wollen immer die Ersten sein: »Dieses Verlangen wird oft genug befriedigt in unserer multimedia-dominierten Gesellschaft«. Dass die Kinder-Droge innerhalb kürzester Zeit so beliebt werden konnte, liegt an der nicht abzustreitenden Wirkung auf der Symptomebene. »Die Kinder werden wieder ansprechbar. Sie können sich besser konzentrieren und man kann wieder mit ihnen arbeiten«, so ein Berliner Kinder- und Jugendpsychologe. »Sie können besser mit ihrer Impulsivität umgehen, das Gehirn kann die einströmenden Eindrücke besser filtern - aber die Kinder müssen genau richtig "eingestellt" sein, also die richtige Dosis bekommen haben«. Allerdings nur bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Wirkung des Mittels nachlässt und sich Gewöhnung und Abhängigkeit einstellen.

Erfundene Krankheit?

Seit den fünfziger Jahren wird Ritalin als Appetitzügler und leichtes Anregungsmittel benutzt. Das dazugehörige Krankheitsbild ADS wurde 1987 regelrecht »erfunden«. Auf einem Kongress der amerikanischen Psychiatrievereinigung wurden diverse »Verhaltensauffälligkeiten« von Kindern, die auf Psychostimulantien reagierten, zu dem Krankheitssyndrom ADS zusammengefasst - durch eine simple Abstimmung per Handzeichen. Die so erschaffene »Krankheit« wurde im Folgejahr prompt eine halbe Million mal diagnostiziert und der Ritalinumsatz stieg rapide an. Ritalinfreundliche Psychiater- und Elternvereinigungen wurden von den Herstellern des Medikamentes mit erheblichen Finanzmitteln »gefördert«.

Einfühlung als Therapie

Das Ehepaar Ullman hält daran fest, dass das verrückte Tempo unserer Bit-pro-Minute-Gesellschaft zur Zunahme von Kindern mit ADS beigetragen hat. Mittels homöopathischer Methoden haben die Ullmans in den letzten 20 Jahren fast 3000 Kinder mit Verhaltens- und Lernstörungen erfolgreich therapiert. Da keine Symptome, sondern Ursachen behandelt werden, können zehn Patienten mit der gleichen »Störung« zehn unterschiedliche Mittel verschrieben bekommen, denn sie werden ganzheitlich auf der Wesensebene behandelt. Bei der richtigen Wahl des homöopathischen Mittels genügen oft wenige Gaben und die Wirkung kann über Jahre anhalten. Dies belegen die Autoren anhand einer Fülle von Beispielen. Auch Ernährung scheint beim Auftreten von ADS-Symptomen eine Rolle zu spielen, weshalb Experten bei Zappelkindern zu einer radikalen Ernährungsumstellung raten. Oft besteht eine Unterversorgung mit lebenswichtigen Mikronährstoffen. Die Berliner Heilpraktikerin Brigitte Henke, die seit Jahren mit ADS-Kindern arbeitet und selbst betroffen ist, hält Einfühlung für das wirksamste Therapeutikum. »Hinter jeder Störung steckt eine Begabung«, sagt sie.
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