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Schutz vor Ärzte-Willkür

Vorsorgevollmacht stärkt Patientenrechte

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 3 Min.
Patienten können der ärztlicher Bevormundung entgehen: Unterschreiben sie eine Vorsorgevollmacht, können sie nicht mehr gegen ihren Willen in eine Klinik eingewiesen werden.
Für den französischen Philosophen Michel Foucault waren die psychiatrischen Klinken ein Ort von größter Willkür und Zwang. Er verglich sie in seinen Büchern mit Gefängnissen. Viele Patienten haben bis heute ähnliche Erinnerungen an ihre Klinikaufenthalte. Das könnte sich jetzt ändern. Das Zauberwort heißt »Vorsorgevollmacht«. Damit könnte doch noch eine grundlegende Reform des deutschen Psychiatriesystems erreicht werden.
In dieser Woche hat das »Kompetenzzentrum Vorsorgevollmacht« in Berlin den Startschuss für eine bundesweite Kampagne gegeben. Alle Bürger werden aufgerufen, eine solche Vollmacht zu unterzeichnen. »Damit können sie verhindern, gegen ihren Willen in ein Heim oder eine psychiatrische Klinik eingewiesen zu werden«, erklärte Uwe Pankow, Geschäftsführer der neu gegründeten »Initiative Selbstbestimmung«. Sie versteht sich als Dienstleistungsunternehmen: Jedem Unterzeichner einer Vorsorgevollmacht wird ein professioneller Vorsorgebevollmächtigter und ein Rechtsanwalt angeboten. Außerdem wird für die notariell beglaubigte Eintragung aller Unterzeichner ins Zentralregister Vorsorgevollmacht garantiert.

Rechtliche Grundlage im Betreuungsgesetz
Die Möglichkeit, sich auf solch einfache Möglichkeit von psychiatrischer Bevormundung lossagen zu können, basiert auf einer Änderung des Betreuungsgesetzes, die am 1.Januar 1999 in Kraft getreten ist. »Anfangs ignorierten viele Ärzte die neuen Patientenrechte«, berichtete Rene Talbot vom Landesverband der Psychiatrieerfahrenen Berlin-Brandenburg. »Manche Ärzte erteilten uns Hausverbot, wenn wir mit einer Vorsorgevollmacht in der Hand die Entlassung eines Patienten forderten«, erinnerte sich Talbot. Doch mehrere höchstrichterliche Urteile haben eindeutig geklärt, dass die Mediziner den Patientenwillen beachten müssen.
Diese Entscheidungen haben sicherlich mit dazu beigetragen, dass manche Mediziner umzudenken beginnen. So schrieb der Chefarzt der Universitätspsychiatrie an der Berliner Charité, Professor Andreas Heinz, in einem Brief an das Berliner Werner-Fuß-Zentrum, in dem sich Psychiatrie-Betroffene zusammengeschlossen haben, er werde in Zukunft jeden Patienten nach dem Besitz einer Vorsorgevollmacht fragen. Außerdem bot er der »Initiative Selbstbestimmung« an, Kurse für Ärzte und medizinisches Personal zu organisieren, in denen die veränderte rechtliche Situation durch die Vorsorgevollmacht dargelegt wird. Auf dieses Angebot wollen die Selbsthilfegruppen gerne zurückkommen.

Selbstbestimmung trotz psychischer Erkrankung
»Für die Ärzte ist die Reform mit einer Änderung ihrer Rolle verbunden, die nicht alle einfach akzeptieren werden«, sagte Talbot. Schließlich bedeutet die Stärkung der Patientenrechte gleichzeitig eine Schwächung der Macht der Mediziner. »In Zukunft kann ein Arzt nicht mehr nach rein objektiven Kriterien entscheiden, ob eine psychische Krankheit vorliegt - mit der Vorsorgevollmacht kann der Patient mitentscheiden, ob er überhaupt krank sein will«, bringt Talbot die Veränderungen kurz und knapp auf den Punkt.
Diese Einschätzung wurde den Selbsthilfegruppen kürzlich offiziell bestätigt. Im Abschlussbericht der letzten Justizministerkonferenz der Länder, die Mitte Juni in Berlin tagte, heißt es unmissverständlich: »Die Vorsorgevollmacht ist als einziges Rechtsinstitut geeignet, das Selbstbestimmungsrecht für den Fall einer psychischen Erkrankung sowie einer geistigen und seelischen Behinderung umfassend zu sichern.«

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