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Mindestlohn deutlich höher als Bürgergeld
Wer arbeitet, hat bedeutend mehr Geld zur Verfügung als jene, die von der Sozialleistung leben
Düsseldorf. Vollzeitbeschäftigte mit Mindestlohn haben einer neuen Studie zufolge deutlich mehr Geld zur Verfügung als Bezieher*innen von Bürgergeld. Das gelte für Alleinstehende ebenso wie für Alleinerziehende und Paare mit Kindern, und zwar in allen Regionen Deutschlands, rechnet das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung vor. Mit der Studie widerspricht Eric Seils vom WSI-Referat für Sozialpolitik der Annahme, das Bürgergeld sei so hoch, dass der Anreiz zu gering entlohnter Arbeit fehle.
Seils rechnete mit dem heutigen Mindestlohn von 12,82 Euro die Stunde und bezog ein, dass Menschen mit geringem Lohn gegebenenfalls zusätzlich Anspruch auf Sozialleistungen wie Wohngeld, Kindergeld oder Kinderzuschlag haben. Die Rechenbeispiele beziehen sich auf Arbeit in Vollzeit. Das bedeutet im Durchschnitt knapp 38,2 Stunden pro Woche.
So kommt ein alleinstehender Mann mit Mindestlohn den Berechnungen zufolge auf 2121,58 Euro brutto im Monat. Davon bleiben nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben 1546 Euro. Zusammen mit dem rechnerischen Anspruch auf 26 Euro Wohngeld ergebe sich ein verfügbares Einkommen von 1572 Euro.
Dagegen stünden dem Mann im Bürgergeld 563 Euro Regelsatz und bei gleicher Miete 451,73 Euro für die Unterkunft zu. Zusammen wären dies 1015 Euro – 557 Euro weniger als im Job mit Mindestlohn. Wird der Rundfunkbeitrag von 18,36 Euro einbezogen, bleibt den Berechnungen zufolge immer noch eine Differenz von über 500 Euro.
Eine alleinerziehende Frau mit einem fünfjährigen Kind käme in Vollzeit mit Mindestlohn auf netto 1636 Euro. Mit Kindergeld, Kinderzuschlag, Wohngeld und Unterhaltsvorschuss seien es 2532 Euro. Beim Bürgergeld wären es laut WSI mit den beiden Regelsätzen für Mutter und Kind, dem Mehrbedarf für Alleinerziehende, Kosten der Unterkunft und Sofortzuschlag 1783 Euro, also 749 Euro weniger. Ein Ehepaar mit einem Verdiener mit Mindestlohn und zwei Kindern im Alter von fünf und 14 Jahren hätte im Bürgergeld 660 Euro weniger, so die Expertise.
Regional gebe es Unterschiede beim Lohnabstand, doch die beruhten auf der Höhe der Mietkosten. In Ostdeutschland inklusive Berlin ist der Lohnabstand demnach etwas größer als im Westen. Im Landkreis München, in Dachau und in der Stadt München falle der Lohnabstand bei einem Single-Haushalt mit 379 bis 444 Euro am geringsten aus. In Nordhausen und dem Vogtlandkreis sei er mit 662 und 652 Euro am größten. Die WSI-Studie bestätigt Ergebnisse anderer Untersuchungen.
»Die Zahlen dieser Studie zeigen erneut, dass Bürgergeldempfängerinnen unabhängig vom Haushaltstyp und von der Region, in der sie wohnen, weniger Geld haben als Erwerbstätige, die zum Mindestlohn arbeiten«, betonte WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch. Zudem werde deutlich, mit wie wenig Menschen im Bürgergeld auskommen müssten. »Die Behauptung, sie wollten nicht erwerbstätig sein, weil sich mit dem Bürgergeld gut leben lasse, ist sachlich falsch und stigmatisierend.« Über 800 000 Personen im Bürgergeld sind zudem sogenannte Aufstocker, sie erhalten zusätzlich Bürgergeld, weil das Einkommen nicht zum Leben reicht.
Statt bei der Höhe des Bürgergelds bestehe Handlungsbedarf bei der Schaffung bezahlbaren Wohnraums. Helfen würde auch Qualifizierung von erwerbsfähigen Menschen im Bürgergeldbezug, fügte sie hinzu. dpa/nd
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