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  • Kultur
  • TV aktuell: „Einladung zu Schimpf“ und andere Unterhaltung

Bekannte Prozedur

  • Lesedauer: 3 Min.

Vor dreißig Jahren, als wir in der DDR noch eine sozialistische Menschengemeinschaft waren, hatten wir Ähnliches auch hierzulande: Verdiente Bürger wurden zur öffentlichen Ehrung vor die Fernsehkameras geladen. „Mit dem Herzen dabei“ hieß die Show, und der Umstand, daß einige der Ausgezeichneten sich bei der Prozedur seelischen Schaden zuzogen, brachte dem Erfinder und Spielmeister Hans-Georg Ponesky den Spitznamen „Seelenhitchcock“ ein.

Der Spaß heißt heute „Einladung zu Schimpf“; am Samstag kam die zweite Folge der neuen ARD-Samstagabendshow. Björn-Hergen Schimpf macht nichts anderes als Ponesky seinerzeit. Verwandte, Nachbarn und Freunde, die der Meinung sind, ein Zeitgenosse verdiene öffentliche Aufmerksamkeit oder Anerkennung, sind aufgerufen, ihn der Ehrung durch allgemeine Beachtung auszuliefern. Der Mann von der Straße wird für rund neunzig Minuten zum Star. Diesmal standen ein Kölner Polizist, ein Hamburger Pizzabäcker, eine österreichische Amateurakrobatin und ein Nordseefischer im Spotlight. Die Sendung spielt mit dem Liveeffekt: Schaltungen kreuz und quer durchs Land sollen Leben in

die öde Pappdeckeldekoration der Studiosendung bringen. Doch die vorgespielte Spontanität wird als Inszenierung durchschaubar, und damit ist auch schon die Luft aus der Show heraus. Was als spontane Äußerung seinen Witz gehabt hätte, war als geprobte Nummer eher peinlich. Und vor allem langweilig.

Am Freitagabend zur Talkshowzeit stand diesmal „III nach Neun“ (ORB-Übernahme von Radio Bremen) gegen „Espresso“ (MDR-Produktion im Programm von Bl). Sieger nach Punkten wurde bei mir die norddeutsche Runde. Die sächsisch-thüringische Talkgemeinschaft setzt auf ein durchgehendes Thema, das von den Talkgästen zu bedienen ist und, wenn es allzu leichtgewichtig ausfällt wie diesmal das jahreszeitlich bedingte „Reisen“, kaum neunzig Minuten Interesse wachhalten kann, da die Gesprächspartner kaum individuelle Kontur erlangen. Auch die undifferenzierte permanente Freundlichkeit der beiden Moderatorinnen Heidrun Noske und Petra Schwarz ermüdet zu so später Stunde.

Juliane Barthel und Giovanni di Lorenzo bauen dagegen auf interessante Menschen und deren Biographien, und da war die Keramikerin Hed-

wig Bollhagen, die mit mehr als achtzig Lebensjahren die Geschicke ihrer Manufakatur wieder in die eigenen Hände genommen hat, ihnen eine großartige Partnerin. Die alte Dame, die immer noch selbst ihren Trabbi durch die Mark lenkt, geht ihren Weg in der Marktwirtschaft mit einem bewundernswerten Mut und mit einer Energie, die jedem fünfzig Jahre jüngeren Ostdeutschen nur von Herzen zu wünschen ist. Und sie schaut ohne Sentimentalität und Wehleidigkeit auf die DDR-Jahre zurück, auch dies eine bemerkenswerte Haltung.

Für den späten Samstagabend hatte Bl eine „Revue im Alcazar“ angekauft, präsentiert von Jean-Marie Riviere. Der Pariser Entertainer in weißem Frack und Zylinder ist eine Legende, er bewegt sich zwischen Zuschauerraum und Bühne, ein Vermittler zwischen Publikum und Bühnenshow, der mit rauher Stimme Geschichten erzählt. Es mag an der Kürzung des Programms auf knapp eine Stunde gelegen haben oder ganz einfach daran, daß eine solche Revue keine Fernsehübertragung verträgt - es blieb nicht mehr als ein distanzierter Blick in die Geschichte der Bühnenunterhaltung. PETER HOFF

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