Störung der Friedhofsruhe von Horno

Wegen der Kohle werden aus dem Brandenburger Ort nun auch die Toten fortgeschafft werden

  • Helmut Höge
  • Lesedauer: 7 Min.
Sechzig Familien in Horno haben sich der Zwangsumsiedlung gefügt, die ersten sind bereits in das Forster Neubaugebiet »Stadtteil Horno« eingezogen. Bis Ende des Jahres soll das ganze Brandenburger Dorf geräumt sein, das vom anrückenden Tagebau Jänschwalde des Stromkonzerns Vattenfall Europe weggebaggert wird.
Zwei Bewohner des sorbischen Dorfes, das nun endgültig dem Lausitzer Braunkohleabbau weichen muss, weigern sich wegzuziehen: das Ehepaar Domain. Ihnen hat sich - als ihr Mieter - der kämpferische Wahlsorbe und Hornoer Ehrenbürger Michael Gromm angeschlossen, der im Ort ein kleines Grundstück besitzt. Der langjährige Widerstand der Hornoer trieb zuletzt die Ablösesummen kräftig in die Höhe, die ihnen der schwedische Konzern Vattenfall, der de facto die Lausitzer Strom- und Kohlewirtschaft besitzt, für das Ausradieren des Dorfes zahlen muss. Ursula und Werner Domain wurde dann noch mehr Geld geboten, aber das Rentnerehepaar blieb auch noch Anfang Juli - beim ersten Termin des »förmlichen Verwaltungsverfahrens« zum Zwecke ihrer Enteignung - vor dem Landesbergamt in Cottbus hartnäckig. Werner Domain erklärte dort: »Mein Frau ist 64, ich bin 68. Wir haben keine Kinder, denen wir was vererben müssen. Und was wir zum Leben brauchen, verdienen wir durch unseren Garten dazu. Den kann uns keiner ersetzen - mit noch so viel Geld nicht. Wir gehen also nicht freiwillig, das gibt einen langen Klageweg.« Was passiert, wenn die Abraum- und Kohlebagger schneller sind als solch ein Enteignungsverfahren, ist praktisch völlig ungeklärt. Domains Anwalt Dirk Teßmer meint: Solange das Paar nicht enteignet ist, könne die Beräumung des Dorfes nicht weiter gehen und beispielsweise die Strom- und Wasserversorgung nicht abgeklemmt werden, wie Vattenfall dies bereits angedroht hatte. Zudem wäre, so Teßmer, eine Enteignung von Wohnraum ein Novum in der Geschichte der Bundesrepublik. Bevor das Landesbergamt die Anhörung auf Mitte November vertagte, meinte der Vattenfall-Anwalt: Zuerst müsse die Gegenseite, der Hornoer Bürger also, konkrete Fakten vorlegen, »um uns zu widerlegen«. Domain kam darauf auf sein Lieblingsargument zurück: Es gehe gar nicht um die Kohle unter Horno, der Flöz sei dort maximal zwei Meter dick. Vattenfall wolle nur den Lehm abbaggern. »Deswegen muss das Dorf weichen!« Der Vattenfall-Anwalt unterbrach ihn und entgegnete, Domain solle mit solchen Scherzen aufhören, sonst ziehe man andere Saiten auf. Indes ziehen bereits immer mehr Hornoer in ihr neues Dorf bei Forst. Zum Jahresende werden die Domains im alten Horno fast allein wohnen, auch die Umbettung der Toten auf dem inzwischen entwidmeten Friedhof hat schon begonnen. Es gibt in dem Dorf neben dem bald ebenfalls nach Forst versetzten Kriegerdenkmal, das an die in den beiden Weltkriegen »auf dem Feld der Ehre« gebliebenen Hornoer erinnert: Zwei Plätze der »ewigen Ruhe«: einen Dorffriedhof, für den nun Vattenfall zuständig ist, sowie einen Soldatenfriedhof, für dessen Gräber sich der Volksbund deutsche Kriegsgräberfürsorge verantwortlich fühlt. Für das Umsiedeln der Toten gebe es »spezielle Umbetter«, erklärt die Hornoer Pfarrerin Dagmar Wellenbrinck. Bei beiden Friedhöfen gibt es jedoch noch Unklarheiten. Der dörfliche wurde dieser Tage bereits abgesperrt, indem man ihn mit einer drei Meter hohen Sichtblende umgab. Dagegen hatten die Domains bei der Pfarrerin Beschwerde eingelegt: Sie haben noch Angehörige auf dem Friedhof, deren Gräber sie besuchen und insbesondere am Volkstrauertag Anfang November herrichten wollen. Dort ruht auch die 1995 verstorbene Mutter von Werner Domain, die ihr Grab für 25 Jahre erwarb. Die Pfarrerin reichte die Beschwerde an das Horno-Umzugsbüro des Vattenfall-Konzerns weiter. Von dort schrieb man den Domains, dass sie ihre Gräber weiter nutzen könnten - »vorläufig«. Dieses Wort bewog Werner Domain sogleich, mit seinem Anwalt eine Klage gegen die Absperrung des Friedhofs sowie gegen die bereits erfolgte Exhumierung seines Großvaters einzuleiten. Der Soldatenfriedhof wird demnächst vom Volksbund mit einem größeren, der bereits in der Nähe von Forst existiert, zusammengelegt. Auf einem der hölzernen Kreuze der kleinen Hornoer Grabstätte steht »Oberst Walter Freiherr von Uckermann - gefallen als Soldat infolge der Maßnahmen vom 20. Juli 44«. Er war als vermuteter Widerständler in das »SS-Bewährungsbataillon Dirlewanger« strafversetzt worden und fiel vermutlich im April 45 bei der Verteidigung des Hornoer Bergs. Gleich daneben steht auf einem anderen Kreuz: »Soldat Dirlewanger, gest. am 22.4.45«. Hier ruht jedoch nicht der berühmt-berüchtigte Begründer der Special Forces der Nazis zur »Terroristenvernichtung«, sondern wahrscheinlich ein unbekannter Soldat aus einem Bataillon der Zwangsgepressten. Aber wie kam der Name aufs Kreuz? Der wahre SS-Sturmbannführer Dr. Oskar Dirlewanger verfügte bereits bei der Aufstellung seiner »Sturmbrigade« 1940 im KZ Oranienburg über eine »neuzeitliche Ausbildung«, wie sein Förderer SS-General Gottlob Berger gegenüber Himmler hervorhob. Als ehemaliger Weltkrieg-I-Teilnehmer hatte sich Dirlewanger nach 1918 als Kommandant des »Freikorps Holz« mehrfach bei der Niederschlagung von Arbeiteraufständen hervorgetan. Im Kampf gegen Max Hoelz und dessen »Rote Armee« erlitt er 1921 in Sangerhausen einen Kopfschuss. 1922 promovierte er mit einer Schrift »Zur Kritik des Gedankens einer planmäßigen Leitung der Wirtschaft«. 1933 wurde er Leiter des Arbeitsamtes Heilbronn, jedoch bald wegen einiger Orgien, an denen minderjährige Mädchen beteiligt waren, von der NSDAP fallen gelassen und zu zwei Jahren Zuchthaus verurteilt. Nach der Entlassung trat der nunmehr 42-Jährige der Legion Condor bei, der auch gegen die Internationalen Brigaden in Spanien eingesetzten deutschen Bekämpfungseinheit. Sie wurde 1939 nach dem Sieg Francos aufgelöst. Mit seiner zunächst aus Wilddieben zusammengesetzten »SS-Sturmbrigade Dirlewanger« war er an der Massentötung wehrloser Juden in Polen und Weißrussland beteiligt, bis der SS-Obergruppenführer Erich von dem Bach-Zelewski die Spezialeinheit dort zur »Partisanenbekämpfung« einsetzte. Im Mai 1942 wurde das Sonderkommando durch ukrainische Freiwillige, erpresste russische Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge sowie mit 1000 Turkmenen verstärkt, später kamen andere muslimische Antikommunisten hinzu. Am Ende erreichte das »SS-Sonderbataillon Dirlewanger« Regimentsstärke. Als solchem werden diesem allein in den Oblasten Minsk und Mogiljew die Vernichtung von 150 Dörfern und die Ermordung von 120000 Menschen angelastet. Ein ehemaliger Angehöriger der Einheit gab nach dem Krieg in der BRD zu Protokoll: »Bei Einsätzen wurden die Dörfer umzingelt und in Brand gesetzt. Es wurden also auch Frauen und Kinder erschossen oder sonst wie getötet.« Hierbei sei Dirlewanger zugegen gewesen, er habe die Einsätze selbst geleitet. Im Spätsommer 1944 wird seine Kampftruppe erst bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands und dann beim slowakischen Nationalaufstand eingesetzt - zusammen mit anderen SS-Divisionen. Der damals zu Dirlewanger versetzte Militärrichter Bruno Wille äußerte sich 1946 in einem Verhör über »die Zustände«, die er dort vorfand: »Die Einheit war weder ihrer Zusammensetzung noch ihrer Führung nach eine SS-Einheit.« Die Rechtspflege bei der Brigade sei »erschütternd« gewesen, Dirlewanger habe alles selbst erledigt, die Führung der ganzen Einheit sei nur auf Prügel aufgebaut. Als er Dirlewanger darauf hinwies, »dass das, was bei der Brigade geschehe, glatter Mord sei, kam es zum Bruch«, erinnerte sich Wille. Der letzte Kampfeinsatz der Einheit war - der Kreis nach Horno schließt sich - die zum »festen Platz« ausgebaute Stadt Guben an der Neiße. Dirlewanger selbst war da aber schon ausgeschieden: Er lag ab Februar 45 mit einer Schädelverletzung in einem Württemberger Lazarett. Nachdem man ihn entlassen hatte, erkannte ihn ein jüdischer KZ-Häftling in Althausen und ließ ihn verhaften. Der Ortsarrest befand sich bereits in französischer Hand, die Wachmannschaft bestand aus Polen. In einer Nacht Anfang Juni soll Dirlewanger drei Mal aus der Zelle geholt und von den Wachen tot geschlagen worden sein. Im Protokoll heißt es wenig später, er sei »eines natürlichen Todes« gestorben: Wahrer kann man es, auf Dirlewangers Taten gemünzt, nicht ausdrücken. Die Leiche von Dirlewanger wurde 1960 exhumiert und identifiziert. Dass sich sein Grab dennoch bereits seit 1945 auch in Horno befindet, kann sich ein Gubener Kriegsforscher, einst selbst Partisanenbekämpfer, nur damit erklären, dass die Einheit ihrem Kommandeur die Flucht nach Westen in amerikanische Gefangenschaft erleichtern wollte, indem sie jemand anders unter seinem Namen bestattete. Eigentlich jedoch hat erst die Rote Armee nach den Kämpfen die in und um Guben herum liegenden Leichen beseitigen lassen, wobei sie auf die ortsansässige Bevölkerung zurückgriff: »Das war fast so wie heute - eine erste Form von ABM: für die Bestattungsarbeit bekamen wir was zu essen«, erinnert sich ein sorbischer Bauer. Und die Pastorin von Horno ist sich sogar sicher, dass sie es waren, die einen der toten deutschen Soldaten - irrtümlich - unter dem Namen Dirlewanger bestatteten. Dieser Art sind die Leichen(probleme), die der schwedische Energiekonzern Vattenfall nun, da auch er Horno partout abbaggern will, in seinen Keller (um)lagert.
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