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Jetzt wird auch der Abwickler abgewickelt

Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben zog Schlussbilanz der Treuhand-Arbeit

  • Uwe Witt
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben (BvS), eine der Nachfolgeorganisationen der Treuhandanstalt (THA), wird Ende dieses Jahres abgewickelt. Gestern stellte sie in Berlin ihren Abschlussbericht vor.
Mit einer markigen Vorneweg-Verteidigung begann BvS-Präsident Hans H. Schroeder-Hohenwarth die Pressekonferenz: »Weder die THA noch die BvS haben je für sich in Anspruch genommen, die wirtschaftlichen Folgen von 40 Jahren SED-Diktatur zu beseitigen«. Aufgabe wäre es vielmehr gewesen, »die vorgefundene Wirtschaftsstruktur systemgerecht für die Wettbewerbswirtschaft herzurichten«. Der Zusammenbruch der ostdeutschen Wirtschaft hatte demnach nichts mit der Arbeit der Treuhand zu tun. Entsprechend akademisch wurde dann über die Arbeitsplatz- und die Erlösbilanzen der Anstalten referiert. Als Privatisierungs- und Verwaltungsorgan des Bundesfinanzministeriums für die ehemaligen volkseigenen Betriebe der DDR waren Treuhand und BvS für rund 14600 Einzelgesellschaften zuständig. Die überraschende Nachricht: Beide Behörden können, was Arbeitsplatz- und Investitionszusagen bei Privatisierungen betrifft, Übererfüllung melden. Mit 861536 Arbeitsplätzen wurden die Zusagen der Investoren um 6 Prozent, mit 68 Milliarden Euro Investitionen die entsprechenden Vereinbarungen um 14 Prozent übertroffen. Allerdings umfasst diese Erfolgsmeldung nur die Zusagen, die »pönalisiert« waren - Arbeitsplätze, deren Erhaltung nicht nur vertraglich zwischen Treuhand und Erwerber vereinbart, sondern deren eventueller Abbau auch mit finanziellen Strafen geahndet wurde. Gerade in den ersten anderthalb Jahren aber, als das »Rosinenpicken«, wie Schroeder-Hohenwarth es bezeichnete, ablief, wurden die Privatisierungsverträge bei 340000 Arbeitsplätzen nicht mit Pönalen belegt. Entlassungen aus diesem Pool blieben also folgenlos und gingen auch nicht in die BvS-Statistik ein. Die Erfolgsmeldung von 0,86 Millionen gesicherten Arbeitsplätzen dürfte nur im Vergleich mit den - laut Bundesanstalt für Arbeit - 1990 noch 4,1 Millionen Arbeitsplätzen in den Betrieben der Treuhand einen Wert haben. Letztere Zahl sucht man in dem 455 Seiten starken Werk der BvS allerdings vergeblich. BvS-Präsident Schroeder-Hohenwarth räumte zwar einige Fehler im System von THA und BvS ein, relativierte diese dann aber ausführlich. Aus heutiger Sicht sei der »Beendigungsdruck«, der auf der Treuhand bis 1994 lastete, »zu stark gewesen«. Bei einer langsameren Abwicklung wären eventuell höhere Erlöse erzielt worden. Dennoch habe der Prozess »eine gewisse Zwangsläufigkeit« gehabt. Alternativen hätten theoretisch, nicht aber praktisch zur Verfügung gestanden. Der BvS-Chef nahm auch Stellung zur »Kriminalitätsdurchseuchung«, wie er das illegale Verschleudern von THA-Vermögen nannte. Die Rate der Ermittlungsverfahren sei mit einem Prozent der Mitarbeiter nicht höher gewesen als in normalen West-Unternehmen. Laut Abschlussbericht kam es bis Mai 2000 zwar zu 219 staatsanwaltlichen Ermittlungen, aber nur in 24 Fällen zu Verurteilungen. Schon seit längerem bekannt sind die gigantischen Defizite von Treuhandanstalt und BvS, die gestern auf 64,6 Milliarden Euro beziffert wurden. Dazu kämen noch 37,2 Milliarden Euro Altkreditschulden. Das Minus wurde schon 1994 weitgehend vom Erblastentilgungsfonds übernommen. Die BvS selbst beendet ihre Arbeit mit einem leichten Gewinn in Höhe von 0,6 Milliarden Euro zum Ende 2002. Zum Arbeitsplatzabbau warf Hannes Rehm, Chef des Finanz- und Auditausschusses der BvS, eine völlig neue Zahl in den Raum: Die Produktivität der DDR-Industrie habe nominell ein Drittel westdeutscher Unternehmen betragen. »Wechselkursbereinigt« seien es nur 7,5 Prozent gewesen. Rehm wollte diese offensichtliche Fantasiezahl trotz Nachfrage von »ND« nicht erläutern. Genauso wortkarg gab sich Otto Gellert, stellvertretender Vorsitzender des BvS-Verwaltungsrates. Dieser hatte den Arbeitsplatzabbau mit einem notwendigen Strukturwandel begründet, der sich auch daraus ergeben habe, dass etwa eine Million Frauen in THA-Betrieben gearbeitet hätten. Der Abschlussbericht mit dem herbstlichen Titel »Schnell privatisieren, entschlossen sanieren, behutsam stilllegen« , der auch kritische Beiträge von 15 Gastautoren enthält, ist zu beziehen über www.wegweiser.de oder im Buchhandel (ISBN-Nr. 3-932661-40-0).
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