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LNG-Projekt gefährdet Fischerei
Senegal und Mauretanien gehören jetzt auch zu den Flüssigerdgas-Exporteuren
Die Flüssigerdgas-Anlage am Horizont ist an diesem Nachmittag in Nebel gehüllt. Am Strand der nordwest-senegalischen Küstenstadt Saint-Louis, gelegen an der Grenze zu Mauretanien, warten die Fischer Eumeu Ndiaye und Lamine Badiane auf die Rückkehr ihrer Kollegen. »Alles hat sich geändert«, sagt Ndiaye. Die größten Fischvorkommen befänden sich genau unter der Anlage, daran sei nun jedoch nicht mehr heranzukommen, meint der 43-jährige Bootskapitän. »Die Küstenwache jagt uns, wenn man sich nähert.« Die Senegalesen zerstörten die Netze der Fischer, die Mauretanier sogar ihre Boote, ergänzt der 20-jährige Lamine Badiane. Manchmal lasse sich dies gegen viel Geld vermeiden, das brächte die meisten jedoch in finanzielle Schwierigkeiten.
Das Problem wird sich weiter verschärfen, denn vor wenigen Tagen sind Mauretanien und Senegal offiziell in den Rang der Flüssigerdgas (LNG) exportierenden Länder aufgestiegen. Es wurde das erste LNG aus dem Offshore-Projekt »Grand Tortue Ahmeyim« (GTA) vor der Küste der beiden Länder verschifft.
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Betrieben wird der Gasförderkomplex vom britischen Ölkonzern BP, der 56 Prozent der Anteile hält. Ebenfalls beteiligt sind das US-Unternehmen Kosmos Energy, die staatliche senegalesische Öl- und Gasgesellschaft Petrosen sowie die Societe Mauritanienne des Hydrocarbures (SMH). Der mauretanische Energieminister Mohamed Ould Melainine Ould Khaled nannte den Exportbeginn gegenüber Sky-News einen »großen Fortschritt«. Die geografische Lage sei ein strategischer Vorteil, denn man könne den »wachsenden Bedarf an sauberer Energie« insbesondere in Europa decken.
In der ersten Phase sollen hier 2,4 Millionen Tonnen LNG pro Jahr gefördert werden. Später ist geplant, die Infrastruktur auszubauen und die Fördermenge auf fünf Millionen Tonnen auszuweiten.
»Alles, was wir wollen, ist, irgendwie über die Runden kommen und unseren Familien etwas zu essen auf den Tisch bringen.«
Eumeu Ndiaye Fischer
Der größte der 24 LNG-Exporteure weltweit waren laut einem Bericht der International Gas Union im Jahr 2023 die USA (84,5 Millionen Tonnen), gefolgt von Australien (79,6 Millionen) und Katar (78,2 Millionen). In Westafrika wurde LNG bereits von Nigeria produziert (13 Millionen Tonnen). Mit Algerien, Angola, Ägypten, Äquatorialguinea, Mosambik, Kamerun und der Republik Kongo gehörten weitere afrikanische Länder zu den Exporteuren.
In Mauretanien werden laut dem staatlichen Unternehmen SMH derzeit Gespräche mit potenziellen Partnern für die Ausbeutung zweier weiterer Gasfelder geführt. Das Land ist zudem auf dem Weg, in den nächsten Jahren zu einem signifikanten Hub für die Produktion von sogenanntem grünen Wasserstoff zu werden. Senegal wiederum hat im Juni 2024 mit der Offshore-Ölförderung begonnen. Betreiber ist das australische Unternehmen Woodside Energy. Weitere Felder befinden sich in der Explorations- oder Entwicklungsphase.
Davon verspricht man sich im Senegal milliardenschwere Einnahmen und einen allgemeinen Aufschwung der Wirtschaft. Die Regierung von Präsident Bassirou Diomaye Faye, die seit 13 Monaten im Amt ist, hat zudem eine Kommission mit der Überarbeitung bereits abgeschlossener internationaler Verträge beauftragt. Potenzielle Neuverhandlungen sollen den Angaben zufolge das bisherige Machtungleichgewicht verringern und das Land stärker von seinen Rohstoffvorkommen profitieren lassen. Auch LNG soll dabei eine große Rolle spielen.
Derweil kritisieren Umweltschützer*innen die Neuerschließung und den Ausbau fossiler Energieträger in Zeiten der Klimakrise. Erdgas erzeugt beim Verbrennen zwar weniger Treibhausgase als Kohle. Es kann allerdings noch klimaschädlicher sein, wenn große Mengen Methan entlang der langen Lieferkette entweichen. Außerdem ist es sehr energieaufwendig, Erdgas für den Tankertransport zu verflüssigen, indem es auf unter minus 160 Grad Celsius abgekühlt wird. Zudem läuft das als Übergangstechnologie gepriesene LNG Gefahr, dass aktuell getätigte Investitionen Anreize für eine längere Nutzung schaffen.
Und was bringt das alles der Bevölkerung vor Ort? BP hat nach eigenen Angaben ein Sozialinvestitionsprogramm in Mauretanien und Senegal gestartet, das darauf abziele, »die lokale Lebensqualität zu verbessern und langfristige Möglichkeiten für die lokale Entwicklung zu schaffen«. Eumeu Ndiaye und Lamine Badiane berichten, einmal seien ein paar LNG-Leute in ihre Nachbarschaft gekommen, hätten die Anwohner versammelt und viele Sachen versprochen. »Aber passiert ist nichts«, so die Fischer. »Alles, was wir wollen, ist, irgendwie über die Runden kommen und unseren Familien etwas zu essen auf den Tisch bringen«, sagt Ndiaye. Das sei jetzt schwieriger denn je.
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