Bauern hoffen auf Hilfe aus Peking

Ackerfläche droht weiter zu schrumpfen

  • Anna Guhl, Peking
  • Lesedauer: 3 Min.
Chinas Ackerfläche ist ohnehin knapp bemessen. Durch den Investitionsboom der letzten Jahre ist sie weiter geschmolzen - mit dramatischen Folgen für manche Bauern.
An einem frühen Morgen Ende August dieses Jahres übergießt sich ein knapp 40 Jahre alter Mann mitten in Peking auf dem geschichtsträchtigen Platz des Himmlischen Friedens mit Benzin. Der Versuch, sich selbst zu verbrennen, kann rechtzeitig von den Sicherheitskräften vereitelt werden. Knapp einen Monat später ist es ein Bauer aus der zentralchinesischen Provinz Anhui, der auf die gleiche Weise in die Schlagzeilen der Tagespresse kommt. In beiden Fällen ging es um Land, um »ihr« Pachtland, das nach Ansicht der Betroffenen von den örtlichen Behörden nicht nur zu Unrecht, sondern auch ohne Ausgleich - der gesetzlich vorgeschrieben ist - eingezogen wurde. Das damit verbundene existenzielle Aus für sie und ihre Familien trieb beide letztendlich zu ihrer dramatischen Aktion. In China werden landwirtschaftliche Anbauflächen und Viehweiden von der jeweiligen Dorfgemeinde verwaltet. Mit Beginn der Reformpolitik Ende der 70er Jahre konnten die Gemeinden das Land wieder an die Bauern verpachten, die es nutzten. Wenn der Boden allerdings, wie es im Gesetzbuch heißt, im »öffentlichen Interesse« gebraucht wird, kann er von der Dorfverwaltung eingezogen werden. Die Verwaltung ist jedoch verpflichtet, dem vorherigen Nutzer eine Entschädigung zu zahlen und ihm ein anderes Stück Pachtland bereitzustellen. Seit Villenviertel, Gewerbeparks und breite Schnellstraßen allerorts wie Pilze nach dem Regen aus dem Boden schießen, ist das Interesse an Land in China groß. Denn die neuen Industrie- und Technologieparks am Rande der Städte lockten in- wie ausländische Investoren an, die nicht nur bares Geld mitbrachten, sondern über Jahre hinweg sichere Einnahmen versprachen. Der vom Staat verwaltete Boden der Städte war daher schnell aufgebraucht. Danach begann die Jagd auf das den Dorfgemeinden unterstellte Land. Der Bodenabgabepreis stieg von durchschnittlich 130 Yuan (etwa 14 Euro) pro Quadratmeter Anfang der 90er Jahre auf heute weit über 1000 Yuan (110 Euro). Viele Gemeinden verdienten sich auf diese Weise goldene Nasen, die eine oder andere investierte das Geld anfangs auch noch in neue Straßen oder in die Verschönerung der öffentlichen Gebäude. In vielen Fällen aber versickerte der Erlös in private Taschen. Dorfvorsteher, Parteisekretär, Bürgermeister - sie alle witterten das schnelle Geld. Oft übernahmen sie zusätzlich entscheidende Positionen in den Vorständen der Erschließungs- und Managementgesellschaften. Die gesetzliche Vorgabe, dass der ursprünglich landwirtschaftlich genutzte Boden nur bei Nachweis eines allgemeinen gesellschaftlichen Interesses bebaut werden kann, wurde kaum noch beachtet. Eine Untersuchung ergab, dass von knapp 4000 Gewerbeparks weit über die Hälfte ohne die entsprechende Genehmigung entstanden waren. Zwar wurden die örtlichen Behörden von der Zentralregierung regelmäßig angewiesen, sich an die Gesetzeslage zu halten, doch richtig durchgegriffen hat sie nicht. Die neue Führung unter Regierungschef Wen Jiabao will nun aufräumen. Sie trat mit dem festen Entschluss an, sich um das Wohl der Bauern zu kümmern und gegen konsequent illegale Geschäftspraktiken vorzugehen. Die Tatsachen selbst zwingen die Pekinger Zentralregierung zum Handeln. Chinas Ackerland ist im Verhältnis zur Größe der Bevölkerung ohnehin knapp bemessen. Es umfasst rund 130 Millionen Hektar und ist damit nicht größer als die landwirtschaftliche Nutzfläche der EU. Und es droht weiter zu schrumpfen. 100 Millionen Hektar werden gebraucht, um die benötigte Getreidemenge zu sichern. Aufgrund reicher Ernten in den 90er Jahren konnten die staatlichen Getreidespeicher zwar aufgefüllt werden, aber seit 2000 liegt der Ertrag jährlich um 40 bis 60 Millionen Tonnen unter der erforderlichen Menge. Noch, so heißt es von zentraler Stelle, ist die Getreideversorgung gesichert, doch die Situation kann schnell umschlagen. Also setzte die Führung zunächst den zuständigen Minister ab und verfügte beim jüngsten Parteiplenum, dass unter Wahrung des Bestands der landwirtschaftlichen Anbaufläche letztendlich der Bauer selbst darüber entscheidet, ob er seinen Pachtboden - gegen Entschädigung - abgeben will. Entsprechende Änderungen im Gesetzestext gibt es bisher aber noch nicht, und so bleibt die Hoffnung gering, dass sich die Lage wirklich spürbar bessert.
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