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  • Kultur
  • Ayckbourns „Halbe Wahrheiten“ in Bremen

Goldschmiedearbeit auf Mist

  • Lesedauer: 2 Min.

„Halbe Wahrheiten können fatale Folgen haben - besonders, wenn man mit seinen Liebhabern leichtsinnig umgeht. So kommt es auch für die kurz vor der Heirat mit Greg (Dirk Plönissen) stehende Ginny (Justina del Corte). Ihre Flunkereien bewirken, daß Greg mißtrauisch wird und seiner Verlobten aufs Land folgt, wo sie angeblich ihre Eltern besuchen will. Dort werkelt Ginnys Ex-Liebhaber und Hobby-Gärtner Philip (Fried Gärtner) zwischen Beeten und überdimensionalen Pflanzen (Ausstattung: Cora Steinbock), während seine Frau Sheila (Nancy Ölig) mei- s stens nur Leidenschaft für das Teetrinken entwickelt. Daß die beiden nicht seine Schwiegereltern sind, merkt der einfältig-eifersüchtige Greg erst am Ende. Durch Ginnys „halbe Wahrheit“ reiht sich ein Mißverständnis an das andere, die bislang betuliche Ehe von Philip und Sheila wird einer Zerreißprobe ausgesetzt. Das Happy-End gibt's schließlich nur deshalb, weil nicht die ganze Wahrheit enthüllt wird.

Ayckbourn ist immer dann Ayckbourn, wenn der schwarze Humor nicht nur zum Schenkelklopfen, sondern auch zum Nachdenken verleitet. Tobias Lenel hat das mit

seiner Inszenierung im Bremer Schauspielhaus zu selten deutlich werden lassen. Gerade ,am Anfang versuchen die Akteure dem vermeintlichen Komödien-Karren zuviel Schwung zu geben. Dirk Plönissen ist diese Anstrengung lange Zeit überdeutlich anzumerken. Nancy Illig zeigt dafür, wie mit wenigen Mitteln eine scheinbar gleichgültige und doch sarkastische Ehefrau dargestellt werden kann.

Auch wenn der Umstand des Mißverständnisses etwas langgedehnt wird, dieses frühe -1965 entstandene - Ayckbourn-Stück ist durch seine geschickten Konstruktionen sehenswert. Theo Lingen wußte das schon 1967 und verhalf mit seiner deutschen Erstaufführung von „Halbe Wahrheiten“ am Hamburger Thalia dem englischen Vielschreiber zum Durchbruch. Ein Kritiker meinte damals „Goldschmiedearbeit auf Mist“ gesehen zu haben. So alt wie Ayckbourns Erfolg ist auch die oberflächliche Verurteilung seiner Stücke von denen, die glauben, nur Goethes Denker oder Shakespeares Kämpfer seien sehenswerte Theatererscheinungen und nicht etwa Ayckbourns Alltagsmenschen.

MANFRED BÖHM

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