Des Papstes Kaulbarsch

Eine Biografie über »unseren Zweitbesten« Martin Luther

  • Günter Vogler
  • Lesedauer: 3 Min.
Es mangelt nicht an Lutherbiografien. Zu jeder Zeit fand der Wittenberger Reformator seine Interpreten. Was soll also eine weitere Darstellung von dessen Leben und Werk? Vermutlich hat der Verlag angesichts der Wahl »Unsere Besten« die bereits 1883 erschienene Luther-Biografie aus der Feder eines katholischen Theologen und Sozialwissenschaftlers der Universität Münster neu herausgebracht. Hier reflektiert ein sachkundiger, mit den Quellen und dem Kirchenrecht vertrauter Autor dramatische Lebensstationen. Horst Herrmann beschreibt nicht nur, sondern erklärt auch, schaut in Luther »hinein«. Er informiert über die äußeren Bedingungen, über Arbeitsweise und Sprache, über Haushalt, Familie und Krankheiten, über den Alltag eines Mönchs und eines Universitätsprofessors, über Bildungsmängel und fehlende Weltkenntnis. »Angst und Trotz, Nachgeben und Aufbegehren, Zartheit und Zorn zugleich machen dann sein Wesen aus.« Der Autor charakterisiert einprägsam die Orte, an denen Luther wirkte, auch die Zeitgenossen, die in sein Leben und Werk eingriffen. Selbstbewusst trat er Papst und Kurie entgegen: »Ich bin des Papsts Kaulbarsch, der stachligste Schuppen hat, den er nicht verschlingen kann. Er hat einen Igel an mir funden zu kauen.« Luther verweigerte den Widerruf seiner Lehre. Nicht einsichtig ist, warum Herrmann von »Orthodoxie« spricht, wenn er die alte Kirche meint, und eine »lutherische Orthodoxie« bereits zu Lebzeiten Luthers konstatiert. Das Hauptthema des Bandes ist, wie Bruder Martin ihn bedrängende religiöse Ängste für sich zu lösen suchte. »Die geordnete Welt der Schultheologie hatte bereits ihren Frieden mit Gott gemacht. Sie baute auf Sicherheit, nicht auf eifriges Nachfragen oder gar auf Zweifeln. Luther dagegen wollte die Anfechtung, die Betroffenheit, die Unsicherheit der menschlichen Existenz.« Eine Antwort fand er in der Entdeckung der »Gnade Gottes«. Es war dies kein »Augenblickserlebnis« in der Turmstube, sondern ein »untheatralisches Reifen«. Herrmann kann sich auf Luther selbst berufen: »Ich hab mein theologiam nit auff einmal gelernt, sondern hab ymmer tieffer grubeln mussen.« Die zwei Jahrzehnte bis zum Tod Luthers 1546 werden kürzer durchschritten. Offenbar interessiert Herrmann vor allem die Zeit, die er als »Inkubationsphase« bezeichnet, in der Luther nach einem Weg aus menschlichen Ängsten und theologischen Zweifeln sucht. Der Autor sieht diese Phase 1525 beendet. In den folgenden, weniger dramatischen Jahren richtete Luther sich in einer veränderten Welt ein. Neue Herausforderungen zwangen ihn in eine Verteidigungsposition gegen Angriffe aus den eigenen Reihen. Er habe habe nicht den Weitblick besessen, eine Ordnung der ganzen Welt auf den Weg zu bringen, liest man. Es bleibt indes: »Seine Frage nach Gottes Gerechtigkeit war... ein universales Problem, das in einem einzelnen Menschen durchlitten worden ist.« An der Ausarbeitung und Verbreitung der neuen Theologie wirkten allerdings viele mit, und das war das Fundament für eine reformatorische Bewegung, die ein europaweites Echo fand. Natürlich können auch Einwände und Defizite aufgelistet werden, doch wer den Weg Luthers nachvollziehen will, wird dieses Buch mit Gewinn lesen. Horst Herrmann: Martin Luther. Eine Biographie. AtV, Berlin 2003. 567S., 9,95 EUR.
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