Jüdische Erben erhalten Grundstück zurück

  • Lesedauer: 3 Min.
In einem der größten Rückerstattungsfälle in Ostdeutschland hat eine jüdische Erbengemeinschaft in einem Musterprozess gesiegt. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig verpflichtete im jahrelangen Rechtsstreit um die Rückgabe früheren jüdischen Eigentums in der Gemeinde Teltow-Seehof den Landkreis Potsdam-Mittelmark zur Rückübertragung. Damit hoben die Leipziger Richter erneut ein Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam in dem Streit um das 1936 verkaufte Grundstück auf. Die Entscheidung des obersten deutschen Verwaltungsgerichts wird Auswirkungen auf die noch 705 weiteren beim Verwaltungsgericht Potsdam anhängigen Parallelverfahren haben können, wobei die Frage eines eventuellen redlichen Erwerbs nach dem 8. Mai 1945 im Einzelfall eine Rolle spielen kann, betont das Leipziger Gericht in seiner Mitteilung. Nach Auffassung des zuständigen 8. Senats haben die Potsdamer Richter bei ihrem Urteil im Oktober 2002 die Reichweite des Vermögensgesetzes verkannt. In einem jahrelangen Rechtsstreit war die beklagte Behörde davon ausgegangen, dass die für die jüdische Erbengemeinschaft bestehende gesetzliche Vermutung eines Zwangsverkaufs widerlegt worden sei. Trotz unzureichender Beweise seien die Richter davon ausgegangen, dass die früheren jüdischen Eigentümer nicht unter dem Druck des Nazi-Regimes verkauft hätten. Dies sei zu Unrecht geschehen. Denn es habe dafür fundierter Beweise bedurft, weil der Gesetzgeber bei Verkäufen jüdischen Eigentums in der Zeit zwischen dem 30. Januar 1933 und dem 8. Mai 1945 von einem verfolgungsbedingten Verkauf ausgeht. Nur wenn diese gesetzliche Vermutung z w e i f e l s f r e i widerlegt sei, könne von der Grundregelung abgewichen werden. Diese Regelung gelte nach der Vereinigung auch auf dem Gebiet der früheren DDR. Der Anwalt der Kläger, Wolfgang Ewer, bewertete das Leipziger Urteil »als positiven Beitrag zur juristischen Bewältigung des düstersten Kapitels Deutschlands«. Die frühere Eigentümerfamilie hatte 1933 einen Maklervertrag zur Parzellierung des insgesamt rund 84 Hektar umfassenden Gutes Seehof an der südlichen Stadtgrenze Berlins geschlossen. Bis 1940 wurden rund 1000 Parzellen an Siedler verkauft. Dazu gehört das etwa 3000 Quadratmeter große Grundstück, um das es im Prozess stellvertretend für 705 weitere Verfahren ging, die noch beim Verwaltungsgericht Potsdam anhängig sind. Bereits 1999 hatte das Bundesverwaltungsgericht zu Gunsten der 18- köpfigen Erbengemeinschaft ein Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam von Dezember 1997 aufgehoben und den Fall zurückverwiesen. 2002 hatten die Potsdamer Richter erneut zu Lasten der jüdischen Erben entschieden. Das Bundesverwaltungsgericht konnte in der Sache abschließend entscheiden und dabei die Fragen, ob der damals erzielte Kaufpreis angemessen war und die Verkäufer frei verfügen konnten, dahinstehen lassen, heißt es in der Mitteilung des Gerichts. Der volle Beweis, dass das Rechtsgeschäft auch ohne die Herrschaft des NS-Regimes abgeschlossen worden wäre, ist nicht gelungen. »Die Mitursächlichkeit des Nationalsozialismus für den Verkauf des Grundstücks ist im gesamten Verfahren weder widerlegt worden noch widerlegungsfähig. Das schließt der Senat aus der Fülle des vorhandenen Tatsachenmaterials und den verschiedenen Äußerungen der Verfolgten...« (Urteil vom 26. November 2003, Az. BVerwG 8 C 10.03)

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -