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Strukturen der Bundesrepublik

  • Lesedauer: 5 Min.

Also, das Problem (der Bundesrepublik) ist hierbei die Verharmlosung auch des Terrors des Faschismus, und die Verharmlosung der Identifikation imperialistischer allge-

meiner Politik mit faschistischer Inhumanität, die wahrscheinlich - und das werden wir denen drüben zugeben müssen - heute bei künftigen, ähnlichen Entwicklungen eine notwendige Identifikation ist. Das Problem ist also nicht, ob hier unmittelbar nationalsozialistische Propaganda gemacht wird (sozusagen von offiziösen Stellen) - das wird niemand behaupten..., sondern das Problem ist, ob die Bedingungen für eine Wiederherstellung solcher Strukturen auch sozialpsychologisch in dieser Anknüpfung an imperialistische Gesinnung einerseits, an obrigkeitsstaatliche Strukturen andererseits wieder geschaffen werden. Und das weitere Problem ist, ob die personellen Bedingungen für eine solche Re-Identifikation - nicht notwendig des Nationalsozialismus, sondern anderer faschistischer Inhumanität - nicht dadurch wirklich gegeben sind, daß in führenden Strukturen der Bundesrepublik, in führenden Machtpositionen der Bundesrepublik Männer sitzen, die an der totalen Inhumanität des „Dritten Reiches“ ihren gebührenden Anteil getragen haben...

Es geht eben nicht um das Problem, daß zweifellos Randsituationen der Freiheit in der Bundesrepublik existieren, in breitem Maße noch existieren; sondern es geht um das Problem, ob Grundstrukturen

tatsächlich da sind, die eine Gefährdung bedeuten und eine neue Zuwendung zu neuer, sicherlich anders formulierter Inhumanität möglich erscheinen lassen. Und da ist andererseits das Grundproblem der Macht-Situationen, der Inhaberschaft faktischer Macht in der Ökonomie, in der staatlich organisierten Gesellschaft (also in der Bürokratie, in der Gerichtswelt und so weiter, in der Armee und dergleichen mehr). Und diese Gefährdungssituation, glaube ich, wird niemand von uns leugnen wollen.

Daß das Problem der Initialzündung „Antisemitismus“ für antihumanitäre, terroristische Massenbewegungen in Westdeutschland ein zweitrangiges Problem geworden ist..., das liegt an einem ganz einfachen Tatbestand: nämlich an der „erfolgreichen“ Endlösung der Judenfrage durch den deutschen Faschismus. Also muß ein neuer deutscher Faschismus, wenn er entstehen sollte, sich natürlich einer anderen Initialzündung zuwenden. Ein ganz gefährli-

ches Problem hierbei scheint mir darin zu stecken, daß wir gerade in dem Versuch der Nicht-Bewältigung der Vergangenheit durch vorgegebene Schein-Bewältigung der Vergangenheit allzu häufig dazu neigen, dieses Problem der Inhumanität im Problem des Antisemitismus ganz einfach zu isolieren. Das geht nicht.

Adolf Hitler - und das „Dritte Reich“ - hat die Zentralbarbarei gegen die Juden gewandt. Adolf Hitler und das „Dritte Reich“ haben nicht nur Millionen Juden, sondern auch andere Millionen ermordet. Als die Mordwelle in Deutschland beginnt, nämlich 1933, sind zwar auch hie und da Juden die Opfer, aber unter der Vorgabe des Antisemitismus waren zunächst diejenigen Deutschen die Opfer, die gegen die Barbarei kämpfen wollten. Und dann hat dieser gleiche Faschismus in den anderen Ländern, die er erobert hat, die Massenliquidation auch anderer Bevölkerungsschichten betrieben: die Massenliquidation durch Einkassieren als Fremdarbeiter, durch Ruinieren des Landes und durch Liquidierung von Menschen - in den Vergasungslagern wurden ja nicht nur die Juden vergast. Wir dürfen also das Problem des Antisemitismus zwar als eines der zentralen Probleme der Barbarei in Deutschland sehen, aber wir dürfen nicht das

Gesamtproblem des organisierten Mordes, der Räuber-Gesinnung gegen andere Nationen (wie sie durch den Imperialismus hochgetrieben wurde und sich dann im Faschismus entladen hat) auf diese Problematik beschränken. Käme es wieder zu Entladungen solcher Art, so ist der Manipulations-Ausgangspunkt mangels vorhandener Juden ein anderer. [...]

Wir wissen zwar, daß es völlig unsinnig wäre und uns nicht ansteht, etwa Stalin als die grauenvollste Entartung des sowjetischen Regimes (die ja doch längst überwunden ist, wenn auch nicht in allem überwunden) mit Hitler gleichzusetzen. Es wäre verbrecherisch, wenn wir eine solche Gleichsetzung betreiben würden. Wir wissen, daß Stalin keine Millionen vergaste. Wir wissen, daß Stalin keine Weltkriege angezettelt hat. Und wir wissen, Hitler hat es getan, und er hat es getan mit Unterstützung durch unsere Bildungsschichten. Aber Verbrechen hat Stalin durchaus begangen. Und die Freiheit des Denkens hat Stalin durchaus auf lange Zeit zurückgedrängt und vorübergehend liquidiert. Und diese Beschränkung der Freiheit des Denkens, die besteht in der DDR - wenn auch nicht mehr so rigoros wie vor wenigen Jahren - doch noch fort. Also müssen wir helfen, hier aufzubrechen durch offene Diskussion und unser Beispiel.

Aber wir können die Bedrohungsangst (in der DDR, die Red.) mit ihren negativen Folgen ja nur dann auflösen, wenn wir zeigen, daß wir diese Bedrohungsangst ernstnehmen und auch bereit sind, sie insoweit zu akzeptieren, als sie Schatten von Berechtigung hat. Und diesen Schatten der Berechtigung behält sie, solange hier in Westdeutschland sozialrelevante Kräfte vom Kreuzzug träumen. Aber diese sozialrelevanten Kräfte (etwa jene Kräfte, die die Tradition des Zweiten Weltkriegs als Tradition der Verteidigung gegen 1 Bolschewistische ' Bedrohung ? weiterführen wollen...), solange also solche Generäle, die in dieser Tradition stehen, solange Professoren, die in dieser Tradition stehen, solange Minister, die in dieser Tradition stehen, möglich sind, besteht sicher eine gewisse Berechtigung der Bedrohung...

Aber die drüben neigen dazu, diese Bedrohungsmomente, die es gibt, absolut zu setzen. Sie neigen dazu... das, was an möglichen Gefahren entstehen kann, für die akute, existente, unmittelbare Gefahr zu halten

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