Schroff wie eine gigantische Mauer

Vor 100 Jahren begann der Aufstand der Hereros in Namibia - schwieriger Umgang mit Geschichte

  • Hans-Georg Schleicher
  • Lesedauer: 7 Min.
In Namibia wie Deutschland wird an diesem Wochenende des 100. Jahrestages des Aufstandes der Herero und Nama in der ehemaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika gedacht. Das Jubiläum wird nicht nur von Geschichtsdebatten, sondern auch von politischen Auseinandersetzungen begleitet.
Schroff wie eine gigantische Mauer ragen die roten Sandsteinfelsen des Waterberg 200 Meter hoch aus der endlosen Hochebene im Nordosten Namibias. Der Berg steht als Symbol für eine der großen antikolonialen Widerstandsbewegungen Afrikas. Am 12. Januar 1904 erhoben sich die Herero in Deutsch-Südwestafrika - Ausdruck verzweifelten Widerstandes gegen koloniale Ausbeutung, die Enteignung von Land und Vieh sowie Willkür und Ungerechtigkeit. Militär- und Polizeistationen wurden überwältigt, Siedlungen und Farmen gingen in Flammen auf, die deutschen Militärstützpunkte belagert. Auch am Waterberg wurde die Polizeistation zerstört. Polizisten, Siedler und Kolonialbeamte wurden getötet. Wie auch an anderen Orten blieben Frauen, Kinder und Missionare auf Befehl des Häuptlings Samuel Maharero verschont. Bemühungen um einen zeitgleichen Aufstand der Stämme im Süden der Kolonie scheiterten, erst Monate später erhoben sich dort die Nama. Historiker sprechen von Völkermord Das koloniale »Deutsch-Südwest« wurde von dem Aufstand völlig überrascht. Viele Beamte und Militärs hatten eine solche Aktion der Afrikaner nicht für möglich gehalten. Erst nach umfangreichen Verstärkungen aus Deutschland, insgesamt 15000 Soldaten, wurde eine militärische Gegenoffensive eingeleitet. Die Herero hatten sich in großer Zahl mit Kriegern, Frauen, Kindern und Alten am Waterberg zusammengezogen, wo es am 11. August 1904 zur Entscheidungsschlacht kam, bei der moderne deutsche Kriegstechnik - 30 Geschütze und 12 Maschinengewehre - den Ausschlag gab. Die flüchtenden Afrikaner wurden in die Omaheke-Wüste abgedrängt, Wasserstellen und Fluchtwege weitgehend abgeschnitten. Der deutsche General Lothar von Trotha mit einschlägigen Erfahrungen bei der Niederschlagung des Boxeraufstandes in China verkündete offiziell: »Innerhalb der Deutschen Grenzen wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen...« Gefangene wurden nicht gemacht. Das deutsche Generalstabswerk vermerkt später lakonisch: »Die wasserlose Omaheke sollte vollenden, was die deutschen Waffen begonnen hatten, die Vernichtung des Hererovolkes.« Ähnlich gingen die Militärs gegen die Nama vor, die sich im Oktober 1904 erhoben und den Kolonialtruppen in den südnamibischen Gebirgen einen mehrjährigen verlustreichen Guerillakrieg lieferten. In Konzentrationslagern an der unwirtlichen Atlantikküste kamen Tausende von ihnen ums Leben. Schätzungen sprechen von Dreiviertel der Herero und der Hälfte der Nama, die insgesamt vernichtet wurden. Betroffen waren auch Angehörige anderer Ethnien wie Damara und San. Diese Fakten lassen die Historiker vom Völkermord sprechen. Nachdem Namibia 1990 seine kolonialen Fesseln abstreifte, proklamierte die Regierung unter Führung der ehemaligen Befreiungsbewegung SWAPO eine Politik der nationalen Aussöhnung. Wie schwierig indes der Umgang mit Geschichte in Namibia ist, wird dem Besucher der Hauptstadt Windhoek schnell deutlich. Auf einem zentralen Hügel vor der Alten Feste erinnert ein überlebensgroßes Reiterdenkmal an Opfer des Aufstandes vor 100 Jahren - an die gefallenen deutschen Soldaten und die getöteten Siedler. Nichts über die Opfer unter den Herero und Nama. Ein solches Denkmal zum Aufstand von 1904 sucht man in Namibias Hauptstadt noch vergeblich. Allerdings soll demnächst ein Museum zum Befreiungskampf entstehen. Nur eine kleine Tafel an der Friedhofsmauer Auch am Waterberg - die Region trägt inzwischen den ursprünglichen Otjiherero-Namen Otjozondjupa - findet sich nur ein Soldatenfriedhof für deutsche Gefallene. An der Friedhofsmauer entdeckt man eine kleine Tafel für die in der Schlacht gefallenen Hererokrieger. Im Busch oder in der Omaheke-Wüste erinnert nichts an die unzähligen Opfer, gleiches gilt für die Stätten ehemaliger Konzentrationslager. Der Jahrestag des deutschen Kolonialkrieges gegen Herero und Nama gibt der Diskussion um diesen Abschnitt deutsch-namibischer Geschichte neuen Auftrieb. Historiker wie Horst Drechsler in der DDR und Helmut Bley in der Bundesrepublik hatten bereits in den 60er Jahren die Kolonialpolitik in Deutsch-Südwestafrika entlarvt - ihre Bücher sind bis heute Standardwerke. Dem Thema sind nun mehrere aktuelle Publikationen und Fachtagungen der Historiker gewidmet. Eine Ausstellung »Namibia-Deutschland: Eine geteilte Geschichte« wird im März 2004 in Köln eröffnet, sie kommt im November nach Berlin. In Namibia haben Herero, Nama und deutschsprachige Namibier ihrer Geschichte bisher zumeist in separaten Veranstaltungen gedacht. Schwierigkeiten bereitet der Jahrestag auch auf politischer Ebene. In Namibia entstanden gleich zwei Gedenkkomitees, ein Nationales Vorbereitungskomitee unter Bischof Zephania Kameeta und ein Koordinierungskomitee unter Herero-Häuptling Kuaima Riruako. Häuptling Riruako, der kürzlich in Deutschland die Forderung nach deutschen Entschädigungen für die Herero wegen des Völkermordes bekräftigte, versteht sich als Sprecher der Herero, die mit Sammelklagen in den USA von der Deutschen Bank, den Deutschen Afrika-Linien und der Bundesrepublik vier Milliarden Dollar Entschädigung fordern. Forderungen nach Wiedergutmachung für historisches Unrecht finden in einer sensibilisierten internationalen Öffentlichkeit erhebliche Aufmerksamkeit. Wäre da nicht die Herero-zentrierte Betonung der Forderung. Namibias Botschafter in Berlin, Hanno Rumpf, will den antikolonialen Widerstand in Namibia nicht auf die Herero reduziert wissen, andere Bevölkerungsgruppen hätten nicht weniger gelitten. Damit würden historische Realitäten verkannt. Die Kläger sprächen nur für Teile der Herero und schon gar nicht für die Regierung Namibias. Diese betrachte ein umfangreiches entwicklungspolitisches und wirtschaftliches Engagement Deutschlands in Namibia als nachhaltigen Weg der Versöhnung. Entschädigung ausschließlich für die Herero ist aus geschichtlicher Sicht problematisch und politisch brisant. Die Verantwortung Deutschlands als ehemalige Kolonialmacht gilt für die gesamte namibische Nation. Eine selektive Unterstützung einzelner Regionen und Bevölkerungsgruppen würde vorhandene soziale und Entwicklungsunterschiede in Namibia verschärfen. Kriterium nachhaltiger Unterstützung müssen die Entwicklungsschwerpunkte des Landes sein, hier geht es vor allem um Armutsbekämpfung. Die deutsch-namibische Entwicklungszusammenarbeit, die sich bereits darauf orientiert, ist sicherlich ein Weg, der historischen Verantwortung Deutschlands Rechnung zu tragen. Die innenpolitische Brisanz des Problems wird auch angesichts der Forderung Riruakos nach einem eigenen Nationalstaat für die Herero und einem föderalen Staatssystem in Namibia deutlich. Überbetonung von Ethnizität ist in Namibia, wie in Afrika insgesamt, ein heißes Eisen. Die namibische Regierung bezeichnete denn auch Riruakos Forderung als Versuch eines gescheiterten Politikers, das eigene politische Überleben durch spalterische Stammespolitik zu sichern. Der Herero-Häuptling war aufgrund seiner schillernden Vergangenheit nie unumstritten. Nach Jahren politischen Aktivismus gegen die südafrikanische Okkupation, die auch Gefängnis und Exil einschlossen, kehrte er 1977 nach Namibia zurück und war Mitbegründer der Demokratischen Turnhallen-Allianz (DTA), die sich an einer von Südafrika etablierten Marionettenregierung beteiligte. Joschka Fischer lehnte Entschuldigung ab Das Nationale Vorbereitungskomitee unter Bischof Kameeta ist um die Einbeziehung aller Namibier in die Feierlichkeiten zum Jubiläum bemüht, Wunden der Vergangenheit sollen geheilt, der Prozess des Nationbuilding durch Versöhnung und Einheit gestärkt werden. In diesem Sine wurde ausdrücklich Riruakos Koordinierungskomitee zur Mitarbeit eingeladen. Kameeta wird von Vertretern breiter gesellschaftlicher Kreise, darunter auch prominenten deutschsprachigen Namibiern aus Regierung, Kirche und Zivilgesellschaft, unterstützt. Im Zusammenhang mit dem Jahrestag wurde erneut die Frage einer deutschen Entschuldigung für die Verbrechen des Kolonialkriegs 1904-1908 akut. Außenminister Joschka Fischer lehnte unlängst in Namibia eine solche Entschuldigung ab, weil sie entschädigungsrelevant sein könnte. Bereits 1998 hatte Bundespräsident Roman Herzog unter Hinweis auf die historische Rechtslage vor 100 Jahren ablehnend reagiert. Unterdessen ist mit deutscher Hilfe in den letzten Jahren in Windhoek ein Archivprojekt des antikolonialen Widerstandes und des Befreiungskampfes entstanden. Joschka Fischer hat bei seinem Besuch 800 Mikrofilme mit Akten des Reichskolonialamtes übergeben, eine passende Geste zum Jubiläum. Aber da wäre dann noch die ausstehende Entschuldigung. In Namibia selbst ist absehbar, dass der Waterberg nicht auf ewig das einzige Denkmal für den Aufstand der Herero und Nama bleibt. Otjiwarongo (»ein angenehmer Ort«) liegt nur etwa 80 km vom Waterberg entfernt. Im Township der Stadt leben etwa 9000 Menschen - Hereros, Ovambos und Namaras - unter schwierigen Bedingungen meist in armseligen Blechhütten. Das Lehmhausbau-Projekt von Solidaritätsdienst international (SODI) - Teil der ND-Spendenaktion »Drei Kontinente« - verschafft etwa 900 von ihnen ein menschenwürdiges Zuhause. Es ist damit auch eine Art Wiedergutmachung an den Hereros. Mit der heutigen Veröffentlichung geht die Aktion, die bisher über 15000 Euro erbrachte, ihrem Ende entgegen. Wer noch gerne spenden möchte: SODI e.V., Kontonummer 99 000 9220 bei der Berliner Sparkasse, BLZ 100 500 00, Kennwort »Drei Kontinente«.
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