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Nach dem Krieg rollt die Repression im Iran

Im Schatten von Unterdrückung und Krise leiden die Iraner unter enormen Beeinträchtigungen der Infrastruktur für Wasser und Strom

  • Negar Jokar
  • Lesedauer: 8 Min.
Bilder von Kindern, die am ersten Kriegstag bei einem israelischen Luftangriff auf den Wohnkomplex Chamran in der iranischen Hauptstadt Teheran getötet wurden.
Bilder von Kindern, die am ersten Kriegstag bei einem israelischen Luftangriff auf den Wohnkomplex Chamran in der iranischen Hauptstadt Teheran getötet wurden.

Es waren nur zwölf Tage im Juni, an denen sich Israel und der Iran gegenseitig beschossen. Aber für den Iran war der kurze Krieg eine der heftigsten militärischen Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte. Die aufeinanderfolgenden Luft- und Raketenangriffe Israels zielten nicht nur auf die militärische und strategische Infrastruktur, sondern erschwerten auch das Alltagsleben von Millionen Menschen. Von langanhaltenden Internetausfällen und Störungen bei Bankdienstleistungen bis hin zur Einstellung von Teilen des öffentlichen Nahverkehrs und der Reduzierung der Kapazität medizinischer Zentren – nahezu alle Aspekte des öffentlichen Lebens waren betroffen.

Das Trauma, das die Bürger, insbesondere Kinder, in diesen zwölf Tagen erlebten, wird sie noch lange prägen. Viele fühlten sich an den achtjährigen Krieg zwischen Iran und Irak erinnert, mit dem Unterschied, dass die Menschen diesmal die unmittelbaren Auswirkungen zerstörerischer Technologie mitansahen.

Obwohl die bewaffnete Auseinandersetzung erwartbar war, traf sie die Menschen wie ein großer Schock. Vor drei Jahren hatten sie in einer der fortschrittlichsten sozialen Protestbewegungen noch den Slogan »Jin, Jiyan, Azadi« – »Frau, Leben, Freiheit« – gerufen, nun fanden sie sich inmitten eines Krieges wieder, der nicht ihrer war und auf dessen Beginn oder Ende sie keinerlei Einfluss hatten. Die Iranerinnen und Iraner durchlebten ein Wechselbad der Gefühle: Freude über den Tod von Kriminellen, die eine maßgebliche Rolle bei der Tötung von Bürgern während der Proteste gespielt hatten; Trauer über den Tod unschuldiger Kinder und Zivilisten; Wut über den Angriff auf das Evin-Gefängnis; und Angst vor einer ungewissen Zukunft im Schatten des Krieges.

Abschreckung durch Angst

Nach dem Waffenstillstand und dem Abebben der externen Spannungen erlebt die Islamische Republik Iran weitreichende Unruhen aufgrund von Problemen der Infrastruktur. Die Regierung reagiert auf die fragile interne Lage mit Machtkonsolidierung und Repression: »Während des 12-tägigen Krieges und danach wurden etwa 2000 Menschen wegen ihrer Verbindungen zum Feind festgenommen«, sagte kürzlich Justizchef Gholam-Hossein Mohseni-Ezhei laut der staatlichen iranischen Nachrichtenagentur Irna. Diese Zahl ist seit den ersten Stunden des Krieges beängstigend schnell gestiegen.

Das Regime der Islamischen Republik hat ausdrücklich die Politik der Abschreckung durch Angst umgesetzt. Die Vorwürfe gegen die verhafteten Bürger lauten »Störung der öffentlichen Meinung« und »Zusammenarbeit mit dem Mossad«, also dem israelischen Geheimdienst. In vielen dieser Fälle war der einzige Grund für die Verhaftung die »Weiterverbreitung von Bildern der Angriffe« oder die »Äußerung von Hoffnung auf ein Ende des Konflikts«.

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Darüber hinaus waren Anhänger der Bahai-Religion, die seit jeher von der Regierung unterdrückt werden, mit einer Welle von Verhaftungen konfrontiert. Diese religiöse Minderheit wurde erneut zum Ziel systematischer Unterdrückung – ein erneuter Beweis für die religiöse Diskriminierung und die zutiefst rassistische Natur der Islamischen Republik.

Verschärfung repressiver Gesetze

Ferner haben die Vertreter des Islamischen Konsultativparlaments kürzlich einen Gesetzentwurf zur »Verschärfung der Strafen für Spionage und Zusammenarbeit mit dem zionistischen Regime und feindlichen Staaten« verabschiedet. Dieser Entwurf kriminalisiert Aktivitäten wie Informations-, Medien- und Cyberzusammenarbeit mit feindlichen Regierungen oder Gruppen und sieht für einige dieser Vergehen die Todesstrafe vor. 57 Professoren, Anwälte und Juristen des Landes bezeichneten den Parlamentsentwurf in einer Erklärung als »große Katastrophe für das Rechts- und Justizsystem des Landes«, da er den Weg für weitere Unterdrückung von Bürgerrechtlern und Kritikern ebnet.

Seit Beginn des Krieges zwischen Iran und Israel wurden Esmail Fekri, Eris Ali, Azad Schodschai, Rasul Ahmad, Madschid Mosajebi, Mohammad Amin Mahdavi Schajesteh, Mehdi Hassani und Behruz Ehsani Eslamlu wegen Vorwürfen wie »Zusammenarbeit mit und Spionage für Israel« hingerichtet. Gleichzeitig werden mehr als 50 zum Tode verurteilte Gefangene aufgrund politischer oder Sicherheitsvorwürfe in verschiedenen Gefängnissen des Iran festgehalten, darunter drei Frauen – Varischeh Moradi, Pakhschan Azizi und Scharifeh Mohammad. In zahlreichen Fällen wurde diesen Personen ein faires Gerichtsverfahren verwehrt, einschließlich des Rechts auf einen unabhängigen Anwalt und ein transparentes Gerichtsverfahren – eine klare Verletzung der Menschenrechte.

Hinrichtung politischer Gefangener

Zudem gab Amnesty International kürzlich bekannt, dass drei Gefangene namens Ruzbeh Vadi, Schahin Basami und Afschin Ghorbani Mischai wegen des Vorwurfs der »Zusammenarbeit oder Verbindung mit Israel« kurz vor der Hinrichtung stehen. Ernsthafte Bedenken bestehen auch hinsichtlich der Lage einiger Gefangener wie Ahmadreza Dschalali, eines zum Tode verurteilten Doppelstaatsbürgers und politischen Gefangenen. Seine Ehefrau Vida Mehrannia erklärte kürzlich, dass sie seit einem Monat keine Informationen über seinen Zustand und seinen Aufenthaltsort habe. Diese Fälle sind nur ein kleiner Ausschnitt der Grausamkeit des iranischen Justizapparats im Umgang mit Dissidenten und Kritikern.

Motahareh Gunei, eine ehemalige Studentenaktivistin und Gefangene, veröffentlichte kürzlich einen schockierenden Bericht, in dem sie Details ihrer Verhaftung und der Luftangriffe der israelischen Armee auf Flügel 209 des Evin-Gefängnisses schilderte. In ihrem Bericht sprach sie von einer »beispiellosen und umfassenden gewalttätigen Verhaftung« und erklärte, dass Beamte ohne richterlichen Beschluss in ihr Haus eingedrungen waren und dabei drei Kugeln in den geschlossenen Raum abfeuerten.

Viele fühlten sich an den achtjährigen Krieg zwischen Iran und Irak erinnert.

»Während der Verhaftung wurde ich barfuß und verwirrt, mit einem Schal um meinen Hals, über den Boden gezogen und weggebracht. Mein rechter Arm brach am Ellbogen und wurde nach der Überführung ins Ghamar-Bani-Haschem-Krankenhaus (dem Geheimdienstministerium angegliedert) eingegipst und geschient«, erzählt sie. Die Schiene sei dann ohne Anwesenheit eines Facharztes entfernt worden, worauf die Hälfte ihrer Finger taub geworden sei. »Ich habe jetzt Bewegungseinschränkungen.«

Bei den Angriffen und auch danach hätten die Gefängniswärter keinerlei Versuche unternommen, die Gefangenen zu retten, ergänzt sie. »Während der Explosionen haben wir selbst die Zellentüren aufgebrochen. Die Wärter hatten Anweisung, die Türen der Zellen nicht zu öffnen.« Motahareh Gunei erwähnt in ihrem Bericht die Anwesenheit von 14 weiteren Frauen im Flügel 209 zum Zeitpunkt des Angriffs. Diese Gefangenen wurden nach dem Angriff zunächst in die Quarantäne des Gefängnisses Qarchak Varamin und dann in eines der als »Sicheres Haus des Geheimdienstministeriums« bekannten Sicherheitsgefängnisse verlegt. Ihr schockierender Bericht zeigt deutlich das Ausmaß der Gleichgültigkeit und Grausamkeit des Regimes gegenüber dem Leben von Gefangenen.

Proteste wegen Wasser- und Stromkrise

Aber die Iranerinnen und Iraner leiden nicht nur unter den staatlichen Repressionen, sondern müssen in der extremen Sommerhitze auch eine beispiellose Krise gleichzeitiger Wasser- und Stromausfälle ertragen, die enorme Schäden für Arbeitsplätze, Bildung, Gesundheitswesen und die Psyche der Gesellschaft bedeutet hat. In den letzten Wochen hatten zahlreiche iranische Städte mit einer Welle von Ausfällen der Wasserversorgung, sinkendem Netzdruck und Störungen beim Zugang zu Trinkwasser zu kämpfen, was zu allgemeiner Unzufriedenheit geführt hat.

Der starke Temperaturanstieg in den letzten Wochen hat auch den Stromverbrauch extrem in die Höhe getrieben und die Stromnetze in den Provinzen überlastet. Wasser- und Stromausfälle sind für die Bürger nicht nur eine einfache Beeinträchtigung, sondern im wahrsten Sinne des Wortes eine Lebenskrise. In mehrstöckigen Wohnungen fallen bei Stromausfällen die Wasserpumpen aus, und selbst der Zugang zu Trinkwasser wird unmöglich.

Der iranische Präsident Massud Peseschkian beklagte für die Hauptstadt Teheran einen starken Rückgang der Wasserressourcen: »Unsere Reserven befinden sich in einem besorgniserregenden Zustand. Ohne Abstimmung mit der Bevölkerung ist es unmöglich, diese Krise zu überwinden. Genaue Bewertungen zeigen, dass die Wasserreserven zur Neige gehen.«

Nach »Frau, Leben, Freiheit«

In den letzten Tagen versammelten sich einige Bürger vor dem Regierungsgebäude in der Stadt Sabzevar, um gegen die wiederholten Wasser- und Stromausfälle zu protestieren. Sie riefen: »Wasser, Strom, Leben, das ist unser selbstverständliches Recht.« Die Regierung hat offensichtlich keine Lösungen für diese Probleme und reagiert auf die Proteste der Bevölkerung mit dem Einsatz von Sicherheitskräften und der Verhaftung protestierender Bürger.

Die Entwicklungen nach dem Zwölf-Tage-Krieg zeigen das Ausmaß der Krise und die tiefen Risse in der iranischen Gesellschaft. Die Menschen, die einst mit dem Slogan »Frau, Leben, Freiheit« auf die Straßen gingen und von einer besseren Zukunft träumten, sehen sich heute von Unterdrückung, Infrastrukturproblemen und Sicherheitsbedrohungen umzingelt. Im Schatten zunehmender Hinrichtungen, Verhaftungen und systematischer Gleichgültigkeit gegenüber den Grundbedürfnissen der Bürger wirft die Sorge vor einem erneuten Krieg einen schweren Schatten auf das tägliche Leben der Menschen. Diese Ängste, gepaart mit steigender Inflation und einer ungewissen Wirtschaftsperspektive, verheißen eine dunkle Zukunft.

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