Einundzwanzig oder Zwanzigeins?

Bochumer Mathematikprofessor plädiert für Reform der Zahlenaussprache

  • Martin Koch
  • Lesedauer: 3 Min.
Wie heißt es so schön: Deutsche Sprache, schwere Sprache. Das gilt nicht nur für die Grammatik, sondern auch für das System der Zahlenbildung. Nehmen wir als Beispiel die Zahl 21. Während der Engländer »twenty-one« (zwanzig-eins) und der Franzose »vingt et un« (zwanzig und eins) sagt, werden im Deutschen Zehner und Einer ohne ersichtlichen Grund verdreht: einundzwanzig. Das muss so nicht bleiben, meint der Bochumer Mathematikprofessor Lothar Gerritzen und hat daher vorgeschlagen, das System der deutschen Zahlenaussprache zu reformieren: »Neben der verdrehten sollte auch die unverdrehte Aussprache von Zahlen in den deutschen Sprachgebrauch übernommen werden. Damit wäre es im Unterricht zum Beispiel möglich, das englische "twenty-one" einfach in "zwanzig-eins" zu übersetzen.« Wie kommt es eigentlich, dass im Deutschen Einer und Zehner vertauscht sind? Bis zum 13. Jahrhundert, vermuten Historiker, wurden die Zahlen sowohl im Altenglischen als auch im Althochdeutschen nach dem heutigen englischen Muster gebildet. Dann jedoch wuchs in Deutschland der Einfluss der arabischen Kultur. Und die Araber schreiben bekanntlich von rechts nach links, also bei einer Zahl zuerst die Einerstelle, dann die Zehnerstelle. Auch beim Sprechen folgen sie dieser Konvention, die zunächst von den Deutschen und später von den Holländern, Dänen und Norwegern übernommen wurde. 1951 allerdings haben die Norweger diesen »Arabismus« wieder getilgt und sagen heute »tjueen« (zwanzigeins). Eine ähnliche Reform sei in Deutschland vor allem aus didaktischen Gründen erforderlich, meint Gerritzen. Zwar möchte er das miserable Abschneiden deutscher Schüler bei der PISA-Studie nicht auf die verdrehte Zahlenaussprache zurückführen. Nur: »In der Grundschule entsteht dadurch ein unnötiges Lernhindernis.« Besonders ausländische Schüler hätten oft große Schwierigkeiten, ihr muttersprachlich erworbenes Zahlenverständnis und die ungewöhnliche deutsche Zahlenaussprache miteinander zu koordinieren. Auch aus wirtschaftlicher Sicht hält Gerritzen die Reform für sinnvoll: »In der Kommunikation besteht immer die Gefahr von Verwechslungen und Fehlern, zum Beispiel, wenn mir jemand Zahlen am Telefon durchgibt.« Zwar sei es nicht leicht, den dadurch entstehenden ökonomischen Schaden zu beziffern, »aber das könnte man empirisch untersuchen«. Während Politik und Wirtschaft zu alledem bisher schweigen, haben deutsche Sprachschützer bereits ihre Verärgerung kundgetan. Die deutsche Art und Weise, Zahlen auszusprechen, sei durchaus logisch und behindere keineswegs das Lernen, erklärt Thomas Paulwitz von der Zeitschrift »Deutsche Sprachwelt«. Außerdem befürchtet er eine weitere Anglisierung unserer Sprache. Doch so wenig die Übernahme einer Sprachkonvention mit Logik zu tun hat, ist die Zehner-Einer-Aussprache bei Zahlen ein rein angelsächsisches Kulturgut. Selbst die traditionsbewussten Franzosen pflegen diese Sprechweise. Allerdings nur bis zur Zahl 69. Dann wird es für deutsche Ohren nachgerade exotisch. 70 heißt zum Beispiel »soixante-dix« (sechzig-zehn), 99 gar »quatre-vingt-dix-neuf« (vier-zwanzig-zehn-neun). Gleichwohl hat Frankreich die Bundesrepublik beim PISA-Test im Fach Mathematik um zehn Plätze überflügelt! Bis heute gibt es nirgendwo in Deutschland eine empirisch gesicherte Studie, die geeignet wäre, Gerritzens Vorschläge zu begründen. Deshalb hat der rührige Mathematikprofessor die Kultusminister der Länder ersucht, eine solche Studie anzuregen, an der Lehrer und Mathematiker ebenso teilnehmen sollten wie Psychologen und Neurowissenschaftler. Erst dann könne über eine Reform des Zahlenaussprache sachkundig entschieden werden.

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