.Rotlackierte Nazis oder Sozialisten?
Es gibt eine Partei in den neuen Ländern, die die klassischen Koalitionskonstellationen der Nachkriegsrepublik erschwert bzw verhindert. Über die PDS und den Umgang mit ihr sollte man ernsthaft nachdenken. Wer sie als „rotlackierte Nazis“ (Stoiber) bezeichnet und sie der NSDAP gleichsetzt, sollte sich erstens schämen und zweitens den Geschichtsunterricht noch einmal besuchen.
1. Oft habe ich den Eindruck, in der Debatte über den Umgang mit der PDS steckt eine enorme Portion Unverständnis über die Situation in Ostdeutschland. Seien wir ehrlich: Ist nicht gerade uns jugendlichen „Wessis“ der Osten scheißegal? Sind uns Rimini und Mallorca nicht wesentlich näher als Cottbus und Görlitz? Wer, wie ich, das Glück hatte, nach '89 Freunde in den neuen Ländern zu finden, erkennt schnell, daß die Menschen dort Erfahrungen machen, die wir hier nicht kennen.
2. In der DDR gab es nicht nur eine Partei. Neben der SED gab es CDU, DBD, LDPD und NDPD. Nach der Wende gingen
CDU-Ost in der CDU-West, LDPD und NDPD in der F.D.P. auf. Nun ist richtig: Die ehemaligen Blockparteien waren nicht die SED Richtig ist aber auch: Die ehemaligen Blockparteien waren und sind nicht die mutigen und bewundernswerten Gruppen der Bürgerrechtsbewegung, vor denen uns auch heute noch etwas mehr Respekt gut zu Gesicht stünde. Zahlreiche Identifikationsfiguren der ehemaligen DDR (Modrow, Fink u. a.), mit denen Ostdeutsche einen Teil ihrer Biographie vor der Arroganz des Westens zu retten versuchen, werden kritisiert, diffamiert. Dann ist aber nicht einzusehen, warum ein Herr Schalck-Golodkowski unbehelligt am Tegernsee sitzt. Dann ist nicht einzusehen, wie man Bauernhöfe am Tegernsee besuchen kann (oder auch nicht) mit einem Herrn Li Peng, der ein Verbrecher ist und in Bayern noch nicht mal Briefträger werden könnte. Doppelmoral ist unerträglich!
3. Richtig ist: 95 Prozent der Mitglieder der PDS sind ehemalige SED-Mitglieder Richtig
ist aber auch: Wer heute in der PDS ist, fördert damit wohl kaum seine Karriere. Es mag ja sein, daß PDS-Mitglieder bösartig und gemeingefährlich sind - karrieristische Opportunisten sind sie nicht. Von den ehemals 2,3 Millionen Mitgliedern der SED sind nur noch 130 000 in der PDS. Merkt jemand etwas? Wo sind die anderen denn hin?
Richtig ist: Die PDS bekennt sich in ihren Programmen -Programme, die ich für populistisch und unrealistisch halte - eindeutig zum Grundgesetz und sozialer Marktwirtschaft. Richtig ist aber auch: Die Formulierung von Parteiprogrammen sagt nur sehr wenig, vielleicht sogar nichts, über den wahren Charakter einer Partei aus. Nur, aufgrund welcher Indizien gelangt man dann zu der Einschätzung, die PDS sei verfassungsfeindlich, revolutionär und gemeingefährlich?
Richtig ist: Es gibt in der PDS eine „Kommunistische Plattform“ mit 20 000 Mitgliedern. Richtig ist aber auch: Im 23köpfigen Vorstand der PDS sitzt ein „Plattform“-Mitglied.
50 Prozent der Wähler der PDS sind zwischen 18 und 24. 1989 waren diese Menschen zwischen 13 und 19 Jahre alt. Alte Kader? Zeigt sich hier nicht auch ein Versagen der Sozialdemokratie, die nicht verdeutlichen kann, daß es bereits eine Partei des demokratischen Sozialismus gibt: die SPD? Für den Beobachter des politischen Alltagsgeschehens ist oft nur äußerst mühsam zu erkennen, wie sich diese Selbstdefinition der SPD im Tagesgeschäft widerspiegelt.
Die Gretchenfrage: Ist die PDS eine demokratische Partei? Die Antwort: ein klares Jein. Die Prozesse zwischen Gysis „bunter Truppe“ und der „Kommunistischer Plattform“ sind noch unausgegoren und nicht entschieden. Einfache Antworten auf die Frage nach dem Charakter der PDS und den resultierenden Umgang mit ihr gibt es nicht. Wer mit der Holzhammermethode auf schwierige Fragen einfache Antworten gibt, mag ein gewiefter Wahlstratege sein. Unsachlich bleibt er dennoch.
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