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Drama der Vergeblichkeit

Christoph Pellets Trilogie »Das Giraffenkind« im Hallenser Thalia-Theater

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 4 Min.
Der Autor war schon eine Berühmtheit, bevor seine ersten Stücke auf europäischen Bühnen gespielt wurden. Über den Drehbüchern zu den Erfolgsfilmen »Swimmingpool« und »Acht Frauen« (mit jenem einmaligen Aufgebot von jungen und alten französischen Spitzenschauspielerinnen) stand sein Name, und das hatte ihn zu einem gefragten Filmautor gemacht. Mit seinen Bühnenwerken reiht er sich in die neue Welle junger französischer Dramatiker ein, die seit Mitte der 90er Jahre die Spielpläne bestimmt. Ihre Arbeiten sind Gegenentwürfe zum so genannten »Theater des Alltags«, jener dominierenden literarischen Strömung der 70er und 8Oer Jahre. Bruchstücke der Wirklichkeit sind Rohmaterial geworden, das auf ganz unterschiedliche Weise in eine assoziative Kunstsprache übersetzt wird. Während Eric Emmanuel Schmitt wundersame Schauplätze wie den Fahrstuhl zwischen Leben und Tod erfindet, arbeitet Pellet mit ganz realen Spielorten, auf denen sich dann der ganze Wahnsinn unseres Seins in metaphorischer Verdichtung entfaltet. lm »Giraffenkind« (der Titel steht sowohl über der gesamten Trilogie wie über dem letzten Teilstück) fasst gegen Ende hin eine poetische Metapher den Inhalt des Ganzen zusammen. Das Mädchen Lucile schenkt ihrem Ex-Freund Nils ein Mitbringsel ihres Vaters aus Transvaal - ein metallenes Halsband. Das ist eines jener Halsbänder, das die afrikanischen Frauen anlegen, um ihren Hals zu verlängern und so zum »Giraffenkind« zu werden. Das Halsband hat die Eigenart, irgendwann zuzuschnappen und sich nur unter Schmerzen und mit Lebensgefahr entfernen zu lassen. Dieses unter Schmerzen Verklammertsein ist das Thema der Trilogie. Die Figuren stoßen sich ab, ziehen sich an und können sich am Ende nur durch den Freitod voneinander lösen. Wir erleben in Zeitsprüngen die Lebensgeschichte von Clarisse, Nathalie und Julien, ihre wechselnden Partnerschaften, ihre persönlichen Krisen und ihre beruflichen Aufstiegs- und Abstiegsphasen. Da ist die reizvolle Clarisse. Erzählt man den Plot von ihrem Blickwinkel aus, so geschieht folgendes. Sie verlässt wegen des jungen Julien den Freund, mit dem sie seit fünf Jahren zusammengelebt hat. Aber auch den neuen Liebhaber stellt sie ins Abseits, zieht zu dem sexversessenen Jim und landet schließlich in den Armen der Restaurantbesitzerin Nathalie und bei deren Sohn Nils auf. Als dessen Vater Julien jedoch aus dem Gefängnis zurückkehrt, wohin er aus einer Verkettung von tragischen Umständen heraus gelangt ist, flieht sie mit dem ins Ungewisse. Ein Drama der vergeblichen Suche nach erfüllter Liebe und ein Drama des Schmerzes, den sich die Figuren in fataler Zwangsläufigkeit zufügen. Regisseur Carlos Manuel, der in letzter Zeit auch an Spitzentheatern wie dem Hamburger Thalia-Theater gearbeitet hat, betont die Kunsthaftigkeit des Textes. Szenensplitter scheinen auf und verglimmen, voneinander abrupt getrennt durch Musikeinspielungen, schrille Klangflächen und ekstatische Tanzbewegungen der Darsteller. Figurenbeziehungen werden nicht psychologisch ausgelotet. Kaum einmal, dass man sich auf der Bühne ins Auge schaut, im schnellen Wechsel von Monolog und Dialog werden - mal schreiend, mal fast unbeteiligt - Erklärungen abgegeben. Irgendwann aber erschöpfen sich solche Mittel. Gleichförmigkeit stellt sich ein und mit der der Eindruck von Länge. Verstärkt wird das durch langwierige Umbaupausen zwischen den einzelnen Teilstücken. Für sich genommen sind die drei einzelnen Bühnenbilder von Fred Pommerehn ganz reizvoll mit ihren rätselhaften Verfremdungen von Wirklichkeitspartikeln wie Schuhen und Damentaschen; mit dem Blick auf die Spieldauer des Ganzen wäre jedoch ein so genannter »Durchsteher«, ein Einheitsbühnenbild angezeigt gewesen. Hinzukommt ein auffälliges darstellerisches Leistungsgefälle. Olga Brügman als Clarisse wird von der Regie in eine undifferenzierte Lautstärke getrieben, in eine Angestrengtheit, die auch den Zuschauer anstrengt. Auf sich aufmerksam macht allerdings Christian Sengewald. In seinen oft kurzen Auftritten in wechselnden Rollen gewinnt er ein unverwechselbares darstellerisches Profil. Wenn er im ersten Teil als Norman listig sein wahres Alter nach unten korrigiert, um in Zeiten des Jugendwahns seine Chancen zu wahren, da gewinnt das Spiel komische Züge, und wenn er als der unglückliche Nils vergeblich nach menschlicher Zusprache sucht, vollzieht sich eine individuelle Leidensgeschichte. Insgesamt ein verdienstvolles Unternehmen, das jedoch zuweilen die Möglichkeiten des umtriebigen Ensembles übersteigt.
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