Wieder ein »Entsagungslied«

Die grassierende Aufklärungssucht von zwei nagelneuen Präsidentschaftskandidaten

  • Waltraut Engelberg
  • Lesedauer: 5 Min.
Als Heinrich Heine, von Frankreich kommend, im Jahre 1843 unterwegs war ins heimatliche Hamburg, begegnete ihm schon auf der ersten Station seiner Reise ein kleines Harfenmädchen, das sang das alte »Entsagungslied«, das »Eiapopeia vom Himmel, womit man einlullt, wenn es greint, das Volk, den großen Lümmel«. In anderen Zeiten und weltlich-nüchtern wollen uns unsere Politiker schon wieder mit Entsagungsliedern einlullen, und weil's halt nicht so klappt, wie sie dachten, haben sie zumindest schon einen Mitschuldigen ausgemacht: Die Sprache ist es, die die absolut richtigen »Reformen«, die »alternativlos« richtigen, dem dummen Volk nicht zu vermitteln vermag. Wir werden diesen Kurs »noch sorgfältiger erklären müssen«, meint der Kanzler. Erklärungsnotstand herrscht, Vermittlungsprobleme machen zu schaffen, an den Worten liegt es. »Die Bevölkerung muss aufgeklärt werden«, pflichtet ein Professor bei, denn »die Bevölkerung ist in Unkenntnis«, man müsste ihr die »Aufklärung« bringen, sie wahrscheinlich von oben im Kantjahr aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit erlösen. Fände man die rechten Worte - »o Wort, das mir fehlt« - sie nähme vielleicht alles hin: die Arbeitslosigkeit, die »Arbeitstrainierungsmaßnahmen«, mit denen man sie verschleiert und die Statistik fälscht, den »Reform« genannten Sozialabbau usw. usf. Denn »die Politik ist richtig«, versichert der abgehärmte Müntefering, den roten Schal immer griffbereit. Ob man's mal mit Farbsymbolik versucht, wenn die Wörter nicht so recht ankommen? Die von Olaf Scholz sind immer von besonderer Prägnanz, da weiß man doch gleich, was Sache ist, wenn er zu einer möglichen Regierungsumbildung sagt: »Solche Entscheidungen werden getroffen, wenn sie getroffen werden.« Ende der »Aufklärung«? Aber nein, man kann die »Aufklärung« auch zu weit treiben, so der VW-Vorstandsvorsitzende Bernd Pitschetsrieder, der ganz deutlich wird und den Start von VW ins Jahr 2004 »miserabel« nennt. Das gehe zu weit, erklären Wirtschaftsjournalisten, so etwas zu sagen wäre ein »kommunikativer Supergau«. Dann aber folgt das »Sparprogramm« mit dem Abbau von 5000 Arbeitsplätzen usw., wir kennen das schon und »wir haben verstanden«. Schon hat die grassierende Aufklärungssucht auch die nagelneuen Präsidentschaftskandidaten erfasst, das geht gleich weiter wie gewohnt. Sogleich lässt Herr Köhler, der für ein schnelleres Tempo ist und für eine »Verschärfung der Agenda 2010«, wissen, man müsse auch »besser erklären, warum Reformen notwendig sind«. Ja, wer das nur könnte bei diesem Erklärungsnotstand; das eben treibt auch Frau Gesine Schwan um, die sich den krausgelockten Kopf zerbricht, wie sie »ihre Gedanken in der Öffentlichkeit am besten präsentieren kann«. Sie meint das natürlich nicht so, wie man das Gewehr »präsentiert«, einen Whiskey oder einen Scheck, beileibe nicht. Sie hat sprachlich einfach zu hoch gegriffen, dafür stapelt sie dann ein bisschen tiefer bei ihrem Begriff von der »Grundsolidarität«. Von Herrn Köhler, so kritisiert sie unter anderem, habe sie »noch keinen überzeugenden ordnungspolitischen Ansatz gehört«. Wie man wohl einen »ordnungspolitischen Ansatz« hören mag? Man wird direkt angesteckt, möchte auch mal erklärend sein und fragen, was hinter gewissen Wörtern steckt, zum Beispiel in der auch von Herrn Köhler genannten »Eigenverantwortung«, einem vieldeutigen Wort, das listig verbirgt, dass die Arbeitslosen vielleicht selber schuld sind an ihrer Lage. Es gilt fein säuberlich zu unterscheiden zwischen denen, die die schweren Lasten der »Verantwortung« tragen und daher viel Geld kriegen müssen, zum Beispiel der Herr Ackermann von der Deutschen Bank oder der Herr Esser von Mannesmann, und jenen vielen anderen mit der »Eigenverantwortung«. Das kleine Wörtchen »eigen« hat es wahrlich in sich, es ist ungemein bedeutungsschwer! Um es kurz zusagen: »Verantwortung« wird hoch bezahlt und betrifft die da oben, »Eigenverantwortung« aber heißt selber zahlen, sich einschränken und betrifft die da unten. Ist eigentlich gar nicht so schwer zu verstehen, nicht wahr? Etwas variationsreicher wird es, wenn einen der Erklärungseifer zum neumodischen »Abspecken« führt. Eigentlich sollte ja das »Abspecken« bei McDonalds beginnen, alldieweil die Fastfoodverschlinger zu dick und damit gesundheitspolitisch »kostenungünstig« werden. Aber was in McDonalds Abfütterungsstätten geschieht, kann man ja unter veränderten Umständen auch im Tollhaus machen, denn Toll Collect sieht beim Mautdebakel jetzt eine »abgespeckte Variante« vor. Überall lässt sich etwas »abspecken«, auch bei der Pendlerpauschale. Der Union geht es um eine »abgespeckte Steuerkonzeption«. Wo aber der viele Speck hinkommt, das merkt allmählich sogar das Volk, das sonst so unaufgeklärte. Da braucht es sich bloß die Manager und Aufsichtsräte, die Banker und die, die gütig die Arbeit »geben« und die Profite »nehmen«, ansehen. Man sollte ihnen die Millionen gönnen, dass es keine »Wettbewerbsverzerrung« gibt, das ist eine sehr verbreitete unangenehme Sache, und wer schon mal eine Zerrung hatte, der weiß, wie schmerzhaft die sein kann, rein empirisch, ganz ohne »Aufklärung«, und besonders, wenn dann weiter daran herumgezerrt wird. Manche Politiker verausgaben sich direkt im heißen Bemühen, die Dinge verständlich zu machen, die Entsagungen zu begründen. Da scheuen sie nichts um zu überreden, zu mahnen, zu warnen, sie setzen auch schauspielerische Effekte ein, wenn sie weismachen wollen, dass die Grenzen der »Zumutbarkeit« ins Unzumutbare zu erweitern sind oder der Kündigungsschutz »aufgeweicht« werden müsse. Täglich erfahren wir neues Erbauliches von unseren freundlichen Politikern. Der Herr Köhler lächelt und die Frau Schwan auch, der Herr Ackermann von der Deutschen Bank grinst nur noch und unser Kanzler bringt sogar den George Bush zum Lachen. Sehr zum Bedauern unserer Aufklärungsbeflissenen aber setzt sich heutzutage eine ganz andere Art der Aufklärung durch, zum Beispiel die über die Kriegsgrundlüge vor der Irakinvasion oder die von den vorgeschobenen ETA-Terroristen in Spanien. Die Texte ihre »Entsagungslieder« aber, sie kommen nicht an, dafür eher Heinrich Heines aufklärerische Antwort darauf: »Wir wollen auf Erden glücklich sein/ Und wollen nicht mehr darben;/ Verschlemmen soll nicht der faule Bauch/ Was fleißige Hände erwarben./ Es wächst hinieden Brot genug/ Für alle Menschenkinder/Auch Rosen und Myrten, Schönheit und Lust,/ Und Zuckererbsen nicht minder«.
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