Polnische Frauen mit Brave-Mädchen-Syndrom
Parlamentarische Frauengruppe will mehr Frauenförderung / Erfahrungsaustausch in Berlin Von BEATE WILLMS
„Wenn ich über eine Stellenanzeige einen Mann über 1,80 Größe, mit schwarzen Augen und viel Zeit suche, glaubt niemand, daß ich einen Arbeiter will“, sagte Danuta Waniek, polnische Ministerin für Verteidigungswesen und Vizepräsidentin der Parlamentarischen Frauengruppe, am Montagabend auf einer Tagung zum Thema „Frauen und Arbeit im demokratischen Polen“ in Berlin. Bei Frauen sei es normal, daß die Bewerberin verfügbar und unter 35 Jahre sei und neben Fremdsprachenkenntnissen „ein nettes Äußeres“ mitbringe. Dieses Frauenbild erschwert arbeitsmarktpolitische Konzepte gegen Frauenerwerbslosigkeit, muß aber mitbedacht werden.
Das war das zentrale Ergebnis einer Tagung, zu der die Berliner Staatssekretärin für Frauen Helga Korthaase neben polnischen Politikerinnen auch Fachfrauen aus Berliner Projekten geladen hatte.
Statistisch gleicht die Situation der Frauen in Polen der in den neuen Bundesländern nicht aber der Entwicklungsstand der arbeitsmarktpolitischen Förderung. Während sie hier im öffentlichen Dienst erste Probeläufe absolviert haben, sind sie in Polen kaum angedacht. „Die Verdrängung ist Folge einer politischen Entscheidung, nämlich der Öffnung der Märkte nach außen“, sagte Danuta Waniek. Deshalb stehe der Staat in der Verantwortung, Lösungen zu finden. Möglicherweise Strategien, wie sie in Berlin und Brandenburg
zumindest teilweise erfolgreich angewandt wurden. Allerdings fehle in Polen die Infrastruktur, ein Netz an Frauenprojekten, auf deren Erfahrungen der Staat aufbauen könnte.
Statt dessen sei das Bewußtsein über die „besondere Betroffenheit“ von Frauen wegen der insgesamt hohen Arbeitslosigkeit kaum ausgeprägt. Für Frauen gibt es auch keine neuen Angebote: Textilund Baumwollindustrien, die früher staatlich gestützt wurden, sind weggebrochen, gut dotierte Bereiche wie Handel, Dienstleistung und Verwaltung sind von jüngeren Männern okkupiert. Wie auch in Ostdeutschland sind 45 Prozent der erwerbslosen Frauen seit mehr als einem Jahr registriert, verlieren immer mehr das Recht auf Unterstützung
und sind vom Einkommen ihrer Ehemänner abhängig. Für eine Strategie, die hier ansetzt, fehlen bislang hüben wie drüben die Ideen - orientieren sich doch beide immer wieder an den alten Bundesländern, die in puncto wirtschaftlicher Autonomie von Frauen noch nie Vorreiter waren.
Anders als in den neuen Ländern würde aber nur jede zweite polnische Frau eine weniger qualifizierte Stelle annehmen, nur 10 Prozent „jede Arbeit“ machen. „Trotzdem weichen viele auf Putzen oder Pflege aus oder vermieten ihre Wohnung unter“, sagte Danuta Waniek. „Die Frauen glauben, daß die Schwierigkeiten Übergangscharakter haben und der Staat sich nach ein paar Jahren wieder ihrer annimmt.“ Konservative Politiker, Kirche und
Medien unterstützen diese Illusion und verherrlichen das Familienbild. Mit dem Ergebnis, daß ein Meinungsforschungsinstitut jüngst verkünden konnte: Was Frauen am höchsten schätzen, sind persönliches Glück und Familie.
Diesem „Syndrom des braven Mädchens“ entgegenzuwirken, hält die Parlamentarische Frauengruppe, die einzige landesweite Vertretung von Fraueninteressen in Polen, bei einer Arbeitsmarktpolitik, die Frauen den (Wieder-) Einstieg ermöglicht, für vorrangig: „Wir können keine Maßnahmen durchsetzen, wenn die Frauen nicht mitmachen.“ Bis jetzt ist es nur in Warschau und einigen anderen großen Städten gelungen, Stellen einzurichten, die Frauen beraten werden.
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