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Kurbeln, bevor der Zug kommt

Berlins letzte handbetriebene Schranke macht im Sommer dicht

  • Steffi Bey
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Charlottenburger Ruhwaldweg ist die Zeit stehen geblieben: Dort befindet sich die letzte handbetriebene Eisenbahnschranke Berlins. Drei Kollegen teilen sich im 24-Stunden-Dienst die Arbeit an den altmodischen Kurbeln. Doch im August ist endgültig Feierabend, dann schließt die Bahn den Übergang. Ein schmaler Weg schlängelt sich durch die Kleingartenkolonie. Wo es ein wenig bergab geht, im Tal sozusagen, macht Jens Eggebrecht seinen Job. Immer wenn es laut und rhythmisch bimmelt, muss er das kleine Häuschen an den Bahngleisen verlassen und ran an die Kurbeln. Mit beiden Armen dreht der 30-Jährige kräftig die Metallgriffe. Langsam, fast zeitlupenartig senkt sich die rot-weiße Schranke. Nach zehn gleichmäßigen Bewegungen bleibt sie waagerecht liegen. Der Zug kann kommen. Etwa 20 Güterzüge rattern täglich über das Gleis, das parallel zur Spree und vorbei an Kleingartenanlagen verläuft. Noch kann das Gleisbett überquert werden, und für etliche Autofahrer ist der Übergang ein Schleichweg, um auf den Spandauer Damm zu gelangen. Aber nur noch fünf Monate, dann ist Schluss. Die Bahn AG baut ihr Verkehrsnetz aus. »Hier wird künftig die große Einfallstrecke für die Schnellzüge aus Hamburg und Hannover sein«, erklärt Pressesprecher Gisbert Gahler. Ein Übergang an dieser Stelle wäre ein Sicherheitsrisiko, zudem wird er dort nicht zwingend gebraucht. Für Jens Eggebrecht, der sich seit fünf Jahren mit der alten Technik arrangiert, ist es schon ein trauriger Abschied. »Es geht immerhin ein Stück Bahngeschichte zu Ende«, sagt der junge Mann in seiner ruhigen Art. Er macht gern in der Gartenkolonie seinen Dienst - in dem kleinen, gerade acht Quadratmeter großen Kabuff. Obwohl sich an vielen Stellen der Putz löst, ist es irgendwie gemütlich. Es gibt an allen Seiten Fenster, und an der Wand hängen vergilbte Plakate aus alten Zeiten. Einmal musste Jens Eggebrecht auf die »Hinweise von einst« zurückgreifen. Denn das Seil hatte sich beim Kurbeln verheddert. Mit der ihm eigenen, beruflichen Gelassenheit band er den Schrankenbaum fest. Zusätzlich holte er Holzbalken, versperrte Autos den Weg und sicherte den Übergang mit Winkfahnen. Sonst sei nie etwas passiert. Aber Eggebrecht hat seine Augen auch fast überall: Er richtet sie auf die vorbeirollenden Züge, die Autos und Fußgänger. Betreten dürfen die das kleine Häuschen aber nicht. »Der Dienstraum ist auch für Bekannte und Verwandte tabu«, macht Eggebrecht deutlich. Auch Fernsehen und Radio sind verboten. Einziger »Luxus« ist eine Mikrowelle für das schnelle Essen zwischendurch. Sein Schicksal nimmt der Eisenbahner gelassen. »Die Bahn wird mir etwas Neues anbieten.« Ein Job an einem kurbelnden Übergang wird es sicher nicht sein. Denn auch im Land Brandenburg gibt es laut Gahler nur noch vier davon. Für Eggebrecht, der in Moabit lebt, wäre bis dahin der Weg zu weit. Insgesamt sind in Berlin und Brandenburg derzeit 1458 Schranken in Betrieb. Sie werden allerdings automatisch über den heranfahrenden Zug oder von einem modernen Stellwerk bedient. Enttäuscht sind die Kleingärtner, dass die Bahn den Übergang am Ruhwaldweg aufgibt. »Das besetzte Wärterhäuschen hat uns vor Dieben geschützt«, betont ein älterer Herr.
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